Ortsbeschreibung von Erkenbrechtsweiler 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 149 bis 152
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7. Erkenbrechtsweiler

evangelisches Pfarrdorf mit Burrenhof, Gemeinde III. Cl. mit 732
Einwohnern (darunter 6 Katholiken, Filialisten von Westerheim,
OA. Geißlingen), 3 3/8 Stunden südöstlich von Nürtingen, der vom
Oberamtssitz entlegenste Ort des Bezirks, und der einzige Alport
desselben. (Forstamt Urach.)

  Auch die ganze Markung liegt auf der Alpfläche und ist rings
von dem Rand des Gebirgsvorsprungs begrenzt, welcher das Len-
ninger Thal von dem Neuffener trennt. Die Luft ist scharf und
windig, Hagelschlag nicht selten, der Boden meist leicht und flach-
gründig, der Grundbesitz stark zerstückelt. Dinkel, Roggen und
Haber werden vorherrschend gebaut und gedeihen, besonders letz-
terer vorzüglich. Der Absatz geschieht auf den Schrannen von
Kirchheim, Urach und Nürtingen. Es gibt mitunter sehr geringe
Felder, die mit 25-50 fl. pr. Morg. verkauft werden, ja in älte-
ren Zeiten bisweilen umsonst weggegeben wurden. Im Ganzen
aber hat sich der Anbau so sehr verbessert, daß die Mittelpreise zu
100, die höchsten zu 450-500 fl. stehen. Der Wieswachs ist weder
[150] ausgedehnt noch ergiebig genug, liefert aber gutes, sehr nahrhaftes
Futter; Preise 100, 200-450 fl. Der Ort betreibt auch Obst-
zucht und zwar für einen Alport mit bemerkenswerthem Erfolg;
die Förderung derselben ist ein besonderes Verdienst des Ortsvor-
stehers. Man bedient sich der Wildlinge, die in den nächsten
Wäldern häufig vorkommen und veredelt werden, da junge Bäume
aus mildern Gegenden hier nicht gut fortkommen. Eine seltene
Erscheinung auf der Alp ist das dem Staat gehörige Stück Forchen-
wald von 8 ½ Morgen bei dem sogenannten Sand, der einzige
Nadelwald im Oberamt. Der auf hiesiger Markung angelegte
Fohlengarten (s. oben) ist eine Aufmunterung, der Pferdezucht
mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, die auch wirklich seit einigen
Jahren im Zunehmen, in Vergleichung mit anderen Alporten, aber
noch immer nicht bedeutend ist. Wichtiger ist die Rindviehzucht,
indem verhältnißmäßig viel Vieh nachgezüchtet, auch auf Verbesse-
rung der Race ernstlich gesehen wird. Das Melk- und Zug-Vieh
wird im Stalle gefüttert, das junge Vieh aber auf die sehr ge-
sunde und nährende Waide getrieben. Die Schafwaide wird fast
durchaus mit fremden Schafen beschlagen und war früher für die
Commune einträglich, wirft aber jetzt, da 30 Morgen zu Allmand-
theilen verwendet wurden, nur 170 fl. Pacht ab. Ziegen werden
in ziehmlich großer Anzahl gehalten, da sie bei der guten Waide
sehr leicht fortzubringen sind. Von Gewerben sind hauptsächlich
die zahlreichen Leinwandweber (30 Stühle), Ziegler, Maurer und
Zimmerleute, die Sommers viel auswärts arbeiten, zu nennen.
Schildwirthschaften bestehen 3. Nebenbeschäftigungen sind das
Spinnen (früher sehr stark, jetzt immer mehr beschränkt), das
Kräutersuchen, das Schneckensammeln; eine Person treibt Schnecken-
handel nach Oberschwaben. Außer den entbehrlichen Boden-Erzeug-
nissen werden auch thon-und marmorartige Kalksteine und Kalk
zum Brennen in beträchtlicher Menge ausgeführt. Die sehr gut
hergestellten Vicinalstraße, welche von Beuren herauf durch den
Ort nach den Alporten und Oberschwaben führt, belebt der Ver-
kehr zum sichtlichen Nutzen des Ortes.

  Die Einwohner (bis auf 8-9 Stammfamilien aus neuen
Ansiedlern seit dem 30jährigen Krieg bestehend) stehen hinsichtlich
ihrer Sitten, Tracht, Lebensweise x. zwischen den Thalbewohnern
und den weiter hin wohnenden Aelplern mitten inne. Fleiß und
Genügsamkeit bezeichnen durchschnittlich ihren Charakter, Es gibt
darunter 10-12 wohlhabende Bauern, die übrigen sind mehr oder
minder unbemittelt. In Erkenbrechtsweiler wurde am 3. Sepr. 1794
der Departemetschef der Justiz, Staatsrath von Römer geboren.
Die Corporation besitz unter andern Vermögenstheilen 250
[151] Morgen Laubwald, der übrigens wie auch die Privatwälder, zum
größten Theile aus Buchenholz besteht. Den Groß-, Heu- und
Oehmd-Zehnten bezieht der Staat, den kleinen die Pfarrei; das
Zehntstroh gehört den Widdumhofsbesitzern, welchen die Faselvieh-
haltung obliegt.

  Erkenbrechtsweiler (s. hienach) wird im Munde des Volks
selten gehört; man sagt Hinterweiler oder Weiler schlecht-
weg. Es ist ein freundlicher Ort, in einer sanften Eindachung
der Alpfläche unweit des steilen Nordrandes gelegen. Sehr
viele neue Ziegeldächer statt der alten Strohdächer kündigen
ihn schon aus der Ferne vortheilhaft an, wie sich denn auch
im Inneren das Aussehen des Dorfes sehr verbessert hat. Die
Pfarrkirche ist aus einer jetzt nicht mehr sicher zu ermittelnden
Zeit, da der alte Charakter des Gebäudes durch die 1756 vorge-
nommene Erneuerung und Erweiterung verwischt wurde. Die
Baulast wird von der Gemeinde getragen. Erst 1472 erhielt der
Lenningen gewesen war; von 1560 – 1706 aber war er wieder
Filial der Diakone von Neuffen, zwischenein auch der Pfarrer
von Beuren und Ober-Lenningen; 1706 – 38 waren eigene Pfarr-
vikare hier, welchen 1726 die Festung Hohen-Neuffen als Filial
angewiesen wurde. 1739 erfolgte endlich die Errichtung einer
wirklichen Pfarrei, mit welcher die Festung bis zu deren Aufhebung
im Filialverband blieb. An der Kirche befindet sich der Begräb-
nißplatz. Das vom Staat zu erhaltende Pfarrhaus ist alt (erbaut
1744), das Rath-und Schulhaus aber ein sehr ansehnliches, 1836
mit einem Aufwand von 10,000 fl. von der Gemeinde ganz neu
ausgeführtes Gebäude. Die Schule hat 2 Lehrer; auch besteht eine
1823 mit Unterstützung der Frau Herzogin Henriette Hoheit ge-
gründete Industrieschule. Der Ort hat hinlängliches Quellwasser
in 2 Brunnen und die nöthigen Cisternen für das Vieh.

  Es fehlt den Umgebungen des Dorfes nicht an manchfaltigem
Interesse. Der merkwürdigen Ueberreste aus hohem Alterthum,
des Burgwalds, der alten Straße, der Schanzen, Heidengräben
Grabhügel und antiquarischen Funde auf diesem abgeschittenen
Gebirgsast ist oben ausführliche Erwähnung gethan worden. Hier
gedenken wir nur der unübertrefflichen Aussichten, welche man
von mehreren vorspringenden Punkten des Felsenkranzes genießt,
der den Alptrauf rings umgibt. Unter diesen verdient vorzugs-
weise einen Besuch der Brucken-Felsen oder die Scheuren-
weite, die äußerste Spitze des Burgwalds, wo senkrecht zu den
Füßen des Beschauers das Gebirge in eine schauerliche Tiefe
abstürzt, während das Auge über den reizenden Vordergrund,
[152] welchen das Lenninger Thal nach seiner ganzen Ausdehnung bildet,
ungehindert in die weitesten Fernen schweift. Die auf der Alp
so häufige Erscheinung der Erdfällen findet sich auch hier; doch
sind bis jetzt nur deren vier bekannt, sämmtlich von unbeträcht-
lichem Umfange. Eine unter der sogenannten Burg ins Gebirge
sich weit hinziehende Felshöhle wird der Volkssage genannt,
ist aber in der Wirklichkeit noch nicht nachgewiesen worden.

  Der Burrenhof, so genannt von dem Burren, einem großen,
vor einigen Jahren eröffneten Grabhügel, ist ein im Jahr 1838
am Kreuzpunkt der Straße nach Urach und der von Neuffen nach
Grabenstetten erbauter Bauernhof mit einer Wirthschaft.

  Im Jahre 1359 versetzte Württemberg Güter in „Erkenbodes-
wiler“ an Berthold und Heinrich Schilling (Gab.); sonst waren na-
mentlich auch die Herren von Baldeck allhier berechtigt und begütert.*

Mit Neuffen ist der Ort im Jahr 1301 von Württemberg
erkauft worden.

  * Das Lagerbuch von 1526 nennt den Ort „Eltzenbocksweiler.“
Die Verleihung der Caplanei und der große Zehnten stand Württemberg
zu; das Dorf gehörte damals in`s Gericht Neuffen. Johann Schwenzlin
zu Hofen verkauft 1422 mehrere Gülten aus Gütern in Erkenbozweiler
an die Präsenz zu Kirchheim.u.T.