Ortsbeschreibung von Aich 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 135 bis 139
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2. Aich

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde III.Cl. Mit der Bombach-
mühle, 867 Einwohner (darunter 1 Katholik), 2 ½ Stunden west-
lich von Nürtingen, *1.) an der Aich und der Staatsstraße von
Stuttgart nach Urach und Reutlingen, Ober-Schwaben und der
Schweiz (Forstamts Tübingen).

 Die Feldmark Aich liegt uneben auf der südlichen Absenkung
der Filder, im Aichthal und auf dem Rücken zwischen diesem und
dem Neckarthal, ist quellenreich und durch die Aich, Schaiach,
Baierbach, Bombach und Finsterbach bewässert, hat reine aber etwas
rauhe Luft, und einen nicht besonders fruchtbaren, magern, schweren
Boden mit steinigter, häufig auch lettiger Unterlage. Da dieser
Boden stärkere Düngung verlangt, als mancher Eigenthümer zu
gewähren vermag, so ist der Zustand des Anbaues noch immer
ziemlich mittelmäßig, wenn gleich es den Bewohnern keineswegs
an Fleiß und Willigkeit in Annahme landwirthlicher Verbesserungen
fehlt. Dinkel und Haber sind das Haupterzeugniß, von welchem
noch ein Quantum nach Außen, auf der Schranne in Metzingen,
abgesetzt werden kann. Ackerpreise sind 100 - 200 - 400 fl. vom Mor-
gen; doch gibt es Aecker zu kaum 50 fl. und von der höchsten Klasse
[136] eben nicht viele. Der Wieswachs ist gut, aber für das eigene
Bedürfniß kaum hinreichend. Die häufigen und gewaltsamen Ueber-
schwemmungen sind nur im Frühling und im Spätherbst gern ge-
sehen, während im Sommer die Verschlämmung des Graswuchses
oft großen Schaden anrichtet. Der Morgen Wiese kostet 200 bis
400 fl. Weinbau hat der Ort nicht mehr, indem schon vor etwa
100 Jahren die wenigen Weinberge ausgereutet und, gegen einen
bestimmten der Herrschaft zu entrichtenden Canon, mit Getreide
und Obstbäumen angepflanzt wurden. Die Obstzucht ist im Zu-
nehmen; besonders übertrifft in guten Jahren das hiesige Stein-
obst das der Nachbarschaft. Holz ist nicht zur Genüge vorhanden,
wiewohl die Gemeinde für ihre Ansprüche an die Schönbuchwal-
dungen ein Areal von 225 M. erhalten hat. - Die Rindviehzucht
steht auf mittlerer Stufe; zu wünschen wäre eine größere Aus-
dehnung der Viehhaltung, welcher aber die Beschränktheit des
Futtererzeugnisses im Wege steht. Der Handel mit Vieh ist bei
einigen Bürgern ein eigener Erwerbszweig. Die Schafzucht ist
im Abnehmen; doch haben noch einige vermöglichere Einwohner
eine ansehnliche Zahl spanischer Schafe. Der Weidepacht erträgt
für die Gemeinde 500 fl.

  Die Einwohner, deren Vermögensumstände bei den angege-
benen Verhältnissen im Ganzen kaum zu den mittleren gerechnet
werden können, sind rührig und betriebsam. Der Viktualienhandel
nach den benachbarten Städten, besonders mit Geflügel, das hier
in namhafter Anzahl gezogen wird, ist ein nicht unbeträchtlicher
Nebenerwerbszweig. Dieser und der Verkehr auf der frequenten
Landstraße, wozu noch in neuerster Zeit die neu angelegte Straße
von Kirchheim und Nürtingen nach Böblingen und Calw kommt,
die ziemlich lebhaft zu werden verspricht, führen manchfaltige
Berührungen mit Auswärtigen herbei, was sich auch bei Manchem
in dem mehr abgeschliffenen Benehmen und der der städtischen
sich nähernden Kleidung nicht verläugnet. Die Gewerbe sind
die auf Dörfern gewöhnlichen. Schildwirthschaften bestehen 3,
Mahlmühlen 2, die sogenannte innere im Dorfe selbst und die
Bombachmühle, einige 100 Schritte oberhalb desselben, beide
an der Aich.

 Ein Hauptbestandtheil des Communalvermögens sind 300 Mor-
gen Laubwaldung; der Ertrag des Weidepachtes ist vorhin ge-
nannt. Auch hat die Gemeinde Sandsteinbrüche verpachtet, deren
Material, ein sehr brauchbarer Baustein, auswärts abgesetzt wird.
Besonders beliebt ist der reine Bausand, welchen die Aich mit
sich führt, und der in Menge hier geholt wird. - Das Stiftungs-
vermögen ist unzulänglich; durch das Abkommen mit dem Nür-
[137] tinger Hospital ist übrigens ein Capital von 3000 fl. für die
Ortsarmen erworben worden.-- Sämmtliche Zehnten, vom Kloster
Denkendorf herrührend, bezieht der Staat, welcher die 1841 ver-
wandelte Pfarrstelle besoldet. Nur ein unbedeutender Zehntantheil
steht dem Hospital Kirchheim zu.-- Das Fischwasser in der Aich
gehört dem Staat; die Verpachtung ist aber wegen mangelnden
Ertrags seit längerer Zeit nicht mehr versucht worden. Alle Gülten
und Hellerzinse, die auf der Markung gelastet, sind 1843 mit
einem Capitalbetrage von 15.056 fl. abgelöst worden.
 Das Dorf ist theils im Thal der Landstraße entlang, theils
den linken Abhang hinan gebaut, hat eine reinliche Haupt-
straße und ist von gutem Aussehen. Im obern Theil des Ortes,
vom Begräbnißplatz umgeben, steht die Pfarrkirche, ein für
seine Bestimmung zu beschränktes Gebäude. Nach der Sage, für
welche auch der Name einer Gasse im untern Dorfe „Kirri-
gasse“(Kirchgasse) spricht, sollen Kirche und Pfarrhaus in alten Zeiten
unten gestanden haben, und erst 1449, nach der Einäscherung des
Ortes durch die Reutlinger, auf die Anhöhe gebaut worden seyn.
Für diese Zeit zeugt auch die Bauart der Kirche, wenigstens des
Chors. Die Baulast ruht auf der Stiftungspflege, und bei deren
Unvermögen auf der Gemeindecasse. Das ganz in der Nähe der
Kirche hoch und angenehm gelegene Pfarrhaus, welches der
Staat im Bau erhält, bietet eine schöne Aussicht nach der Alp-
kette. *2.) Die Schule mit 2 Lehrern befindet sich ebenfalls obe im
Ort, in einem 1841 mit dem Aufwand von 4000 fl (darunter
450 fl. Staatsbeitrag) vollständig erneuerten Hause. Eine 1836 er-
richtete Industrieschule findet wenig Anklang. Das hübsche Rath-
haus unten an der Hauptstraße wurde 1836 mit einem Aufwand
von 2200 fl. auf den Unterstock des alten erbaut.Ueber die Aich
führt am östlichen Ende des Ortes eine solide steinerne Brücke,
eine kleinere über den Bombach. Der untere Theil des Dorfes
hat reichliche und vortreffliche Quellbrunnen. In älterer Zeit war
hier eine Badstube, von welcher noch ein Acker seinen Namen trägt.
Unterhalb desselben sprudelt eine Quelle aus einem hohlen Eichen-
stumpf hervor, welcher man Heilkräfte für das Vieh zuschrieb.
Ein Hungerbrunnen soll bisweilen zum Vorschein kommen. In
dem von Wasseradern reichlich durchsetzten Boden der Gegend findet
man die Ursache der Erdbrüche und Schlipfe, welche sich zuweilen
ereignen.

 Ehemals führte man es als eine Merkwürdigkeit von Aich
[138] an, daß hier der Mittelpunkt des Herzogthums sey.

 Am linken Aichufer, gleich oberhalb der Bombachmühle, stand
eine jetzt längst zerstörte Burg;* 3.) die Höhe über derselben führt
den Namen Hohsträß. Die Römerstraße (s. oben S. 109) zieht
unter dem Namen Herweg durch einen kleinen südlichen Theil
der Markung gegen Schlaitdorf. Der Name Mühlstetten
1/8 Stunde unterhalb des Ortes an der Aich deutet auf eine ab-
gegangene Mühle oder einen Weiler.

 In Aich hatte Kloster Adelberg laut Archivalurk. von 1297
einige Zinsleute und Kloster Hirschau im Jahre 1341 Besitzungen,
welche es damals an die Schilling`sche Familie verlieh. Das be-
gütertste Kloster aber war Denkendorf; dieses erkaufte unter an-
derem daselbst im Jahr 1360 die Kirche und den Kirchensatz um
320 Pfd. und besaß den Zehnten (s. oben), eine eigene Zehnt-
scheuer, einen Widumhof und das Vogtrecht auf Gütern (Schmidlin
Beitr. 2, 70. Cleß C. 129).

 Am 22 Juni 1369 verkauften Benz Sperwer von Sperwerseck,
ein Bürger von Reutlingen und sein Sohn Wernher Benz Sperwer
an den Grafen Eberhard von Württemberg all ihr Gut zu Aich
dem Dorf, ihre eigenen Leute, sie seyen zu Aich gesessen oder nicht,
wann sie nur nach Aich gehören, mit Vogtei, Gericht und andern
Zugehörden, auch der Mühlen, als ein freies Eigenthum, für
550 Pfd. Heller (Archivurk., Sattler Topogr. 165).
 Im Jahr 1449 im Städtekrieg, wurde das Dorf in Asche ge-
legt (Steinhofer 2, 914).

 In der ältesten Zeit hatte der Ort seinen eigenen Adel; diesem
gehört an Wernher und sein Bruder Wolfram von Aich (Eichacha),
welche zwischen den Jahren 1103 – 1109 das Kloster Hirschau mit
Gütern bei Neckar-Tenzlingen beschenkten (Cod. Hirs.p.47 ed.Stuttg.)
und ist dieß das früheste Vorkommen diese Dorfes. Am 23 April
1322 erscheint Albrecht von Aich, welchen damals Graf Eberhard
von Landau mit einer Hube zu Enslingen belehnt (Archivurkunde.

 Der Ort wurde früher E und Ech und Eich geschrieben. Ueber
Kirchliches und das Edelgeschlecht des Ortes noch einige Archival-
notizen. Wernherus de E ist 1292 Kirchherr von Walddorf.
Eberhard der Vogt von E wird 1297 mit dem Kloster Adelberg
über das Vogtrecht von 3 Klosterhintersassen verglichen. Conrad
[139] von E stiftet 1319 in die Pfarrkirche eine eigene Messe und ver-
zichtet auf die Vogtei einiger derselben übergebenen Güter zu E.
Das letztere thun 1321 auch dessen Brüder: Johann, Albrecht der
Kirchherr von E, Conrad, Einz und Eberhard Voke. 1326 be-
stätigt der Bischof die Messe. Conrad Emertz von E übergibt
1340 der Caplanei 3 Güter zu E. Hans von E, des Emertzen
seliger Sohn, verkauft 1360 dem Kloster Denkendorf „das Haus,
die Bünde und den Garten, gelegen zu E ob der Kirchen, und
dazu die Kirche, den Kirchensatz und Wittumhof zu E“ nebst
Zehenten um 280 Pfd. Heller. Benz Swigger von E wird 1394
von Graf Eberhard dem Milden mit 4 Mannsmad Wiesen be-
lehnt.-- Im Jahr 1319 verkauft Wernher von Bernhausen, von
Waldenbuch genannt, der Frühmesse seinen Hof zu E, der da heißet
der Hof an dem Steg, um 27 Pfd. Heller. Katharina Spät von
dem Neuenhaus verkauft 1403 alles, was sie hier besaß, an Würt-
temberg. Ritter Burkhart Schilling und Ursula Kaib, seine Haus-
frau, verkaufen 1409 der Frühmesse zu Walddorf etliche hiesige
Gülten. Das Kloster Reichenau eignet 1416 dem Bertold Kayb
den Zehten zu Schlaitdorf, ein hiesiges Zehntrecht und Gülten
hier, zu Grötzingen und Rieth, die er zu Lehen hatte, worauf
Württemberg den hiesigen Zehntantheil verkauft.

 Aich war ein Bestandtheil des alten Amtes Nürtingen. Im
April 1586 war hier eine große Feuersbrunst. Heinrich Schickard
baute den Ort wieder auf ( s. dessen Lebensbeschr. 1821 S. 19).

*1.) Die Entfernungen sind nach den Straßen und Vicinalwegen berechnet.
*2.) Neben der Pfarrei, deren Patronat dem Kloster Denkendorf zustand,
    bestand vor der Reformation auch eine Frühmeßpfründe.
*3.) Sie hieß Bonbach und war der Sitz der nachgenannten Edelleute von E.oder Aich.
    Die hienach zu erwähnende Urkunde von 1340 stellte Conrad „zu Bonbach“ aus.
    Im J. 1404 war hier noch ein Hof. Benz Kaib von der Mühle wird 1372 von Württemberg
    mit dem Söldlinsgut zu Bonbach bei Aich belehnt.)

- Hube – kleines Bauerngut mit oder ohne Gebäude
- Kirchensatz – das Patronatsrecht, das dem Kirchherrn bestimmte
    Mitwirkungsrechte bei der Besetzung der Pfarrstelle einräumt.
- Schildwirthschaft – Gaststätte, die das Recht und die Pflicht hatte,
    Gäste zu beherbergen und zu bewirten, im Gegensatz zur Schankwirtschaft.