Ortsbeschreibung von Grötzingen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 160 bis 165

11. Grötzingen

[160] Stadt, Gemeinde II. Cl. mit 1080 Einwohnern, darunter 3 Katho-
liken, 1 ¾ Stunde westlich von Nürtingen, im Aichthal gelegen.
Vermöge dieser Lage ist die Luft etwas rauher als im Neckar-
thal, doch rein und gesund, der vorherrschende lehmige Boden der
ansehnlichen Markung, welche sich besonders gegen die Filderhöhe
hin erstreckt, im Ganzen fruchtbar und wohl angebaut, wiewohl
die abhängige Lage vieler Felder manche Schwierigkeit verursacht.
Der Dinkel gedeiht hier ganz besonders. Der Thalgrund hat guten
und ergiebigen Wieswachs, leidet aber bisweilen sehr durch Ueber-
schwemmung. Die Ackerpreise stehen zu 25-200-400 fl., die
Wiesen zu 80-200-400 fl. Weinberge haben mehrere Bürger
auf Neckar-Thailfinger Markung, indem die diesseitigen schon seit
etwa 100 Jahren ausgereutet sind. Obstbau kommt im Thal nicht
vor, wird jedoch an den Abhängen mit zunehmender Sorgfalt
betrieben. Die Rindviehzucht gehört zu den namhaftesten des Be-
zirks und hat sich durch die Bemühungen der Ortsbehörden für
verbesserte Nachzucht mittelst Haltung von Simmenthaler Zucht-
stieren merklich gehoben, wiewohl die im Jahr 1842 durch Verkauf
entstandenen Ausfälle im Viehstand von mehreren Viehbesitzern
mit schlechterer Waare, namentlich mit Judenvieh, ersetzt wurde.
Ochsen werden ziemlich viele gemästet und auswärts verkauft.
Bedeutend sind die drei jährlichen Viehmärkte. Auch die Schaf-
zucht ist nicht ohne Belang; auf der hiesigen Weide gehen 800 Thiere,
größtentheils feine Bastarde, welche Ortsbürgern angehören und
der Gemeinde eine jährliche Nutzung von circa 1200 fl. abwerfen.

  [161] Die Einwohner, im Ganzen körperlich kräftige, fleißige und
nüchterne Leute, an welchen man übrigens, da der Ort wenig
auswärtigen Verkehr hat, etwas unzugängliches und Herbes be-
merken will, leben vergleichungsweise in günstigen Vermögensver-
hältnissen. Unerheblich und bloß auf örtliche Bedürfnisse beschränkt
ist der Gewerbebetrieb, mit welchem sich nur die minder begüterten
Bürger befassen. Schildwirthschaften befinden sich hier 5, Mahl-
mühlen 2, die eine am obern Ende des Städtchens, die andere
unterhalb desselben, in welche einige benachbarte Orte gebannt
sind, eine Oelmühle, eine Ziegelei, eine Bleiche, eine Kleemeiste-
rei und ein Gemeinde-Back und Wasch-Haus. Ein Nebenerwerbs-
zweig ist der besonders durch die Neuhauser vermittelte Victua-
lienhandel. Die Gemeinde-Corporation ist in ziemlich guten
Umständen, weniger die Stiftungspflege; der Armenkasse ist durch
die Abfindung mit dem Hospital Nürtingen ein Capital von
3000 fl. zugeflossen. Die Schönbuchs-Gerechtigkeiten der Gemeinde
sind vor 20 Jahren mit einem Laubwald-Distrikt von 233 Morgen
und 1 Morgen Sandsteinbruch im Umfang der Markungen Neuen-
haus und Schlaitdorf von Seiten des Staates abgelöst worden.
Die Nutzung besteht in jährlichen 60-70 Klaftern, welche an die
Bürger ausgetheilt werden. Wenn gleich einem sehr fühlbar ge-
wesenen Mangel dadurch einigermaßen abgeholfen ist, so gehen
doch immer gegen 1800 fl. für Bau- und Brenn-Holz jährlich
aus dem Orte.

  Der Frucht- und Heu-Zehnte ist zwischen dem Staat (Univer-
sität Tübingen* ) und dem Hospital Kirchheim so ziemlich zu
gleichen Theilen getheilt. (Im Jahr 1445 übergibt Graf Ulrich
von Württemberg „des Spitals Armen, elenden Dürftigen an
ihren Tisch“ den halben Zehnten zu Grötzingen.) Von 155 Mor-
gen hat die Pfarrei Neuhausen den Großzehnten; ein kleiner
Zehntantheil steht auch der örtlichen Gemeinde-und Stiftungs-
Pflege zu. Der kleine Zehnt gehört dem Hospital Kirchheim aus-
schließlich. Sämmtliche Gärten sind zehentfrei. Das Fischwasser
in der Aich gehört dem Staat, liefert aber keinen Ertrag.

  Das Städtchen bildet ein Viereck und ist auf der West- und
Süd-Seite von der Aich, auf der Ost-Seite vom Weiherbach umflos-
sen, der sich hier mit der Aich vereinigt. Eine besondere Merk-
würdigkeit gab ihm früher seine starke Ringmauer von 24' Höhe
und 6-8' Dicke, mit Wall, Gräben und 12 Thürmen, von
[162] welchen einige, besonders der Boden- (Gefängniß-) Thurm an
der nordöstlichen Ecke, der Pulver-, hohe Wacht- und obere
Thor-Thurm von schönen Quadern erbaut waren.** Thore mit
Fallgittern waren drei vorhanden. Seit etwa dreißig Jahren aber
sind die Graben ausgefüllt, die Mauern bis auf wenige Reste an der
Abendseite abgetragen, die Thürme aber ganz verschwunden. Der
Ort unterscheidet sich vom Dorf nur durch engere Bauart und
etwas regelmäßigere Anlagen, ist auch in seinen drei Hauptgassen
von älterer Zeit her gepflastert, aber nicht sehr reinlich, und hat
viele geringe Häuser. In neueren Zeiten hat sich das Städtchen
auf der Nordseite über die alte Einfriedungen hinaus erweitert.
Die Pfarrkirche hat einen schönen gothischen Chor aus der
zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts mit Sterngewölbe und einem
ansehnlichen Thurm (1460) mit hohem Pyramidendach und einem
guten Geläute. Das Langhaus aber, über welchem sich ein Frucht-
kasten befindet, ist durch ein zu niedriges Bretterdach entstellt.
Unter dem Taufstein liest man die Grabschrift des Dieboldus
miles de Bernhausen + 1286 (Chron. Sindelf. S.20 ed. Haug).
Die Baulast der Kirche liegt zunächst der Stiftungspflege ob. Der
Begräbnißplatz befindet sich an der Nordseite des Ortes und be-
steht aus zwei getrennten, abwechselnd benutzten Friedhöfen. Das
hohe, ungewöhnlich geräumige Pfarrhaus ist Eigenthum des Ho-
spitals Kirchheim, welchem früher als Schenkung Graf Ulrichs
der Pfarrsatz zustand (s. vorhin, Cleß C. 666, vergleiche indeß
Steinhofer 2, 876), und noch jetzt die Besoldung der Pfarrstelle
obliegt.*** Wegen seiner Zehnten und Gülten hat dieser Hospital
hier einen Fruchtkasten. Das Schulhaus hat die Gemeinde
1820 erbaut; an der Schule arbeiten zwei Lehrer; eine Kleinkinder-
schule ist bald nach ihrer Errichtung wieder eingegangen; geringen
Fortgang hat auch die 1834 errichtete Industrieschule. Das Rath-
[163] haus, ein sehr alterthümliches Gebäude, trägt die Jahrzahl
1594.**** Gutes Quellwasser ist zur Genüge vorhanden; eine
Teichelleitung führt in einer Länge von einer kleinen halben Stunde
zwei reichliche Quellen aus den Altgrötzinger Wiesen den städti-
schen Brunnen zu. ***** Ueber die Aich gelangt man auf der Südseite
des Ors mittelst einer aus Quadern erbauten Brücke mit drei
Bogen. Noch ist im sogenannten Nonnengäßchen ein altes, jetzt
baufälliges Bauernhaus zu bemerken, in welchem sich eine Be-
guinen-Clause befand, die ums Jahr 1582 zum Kirchenkasten
eingezogen wurde (Besold Virgg. SS. Mon. p. 540).

  Außerhalb des Städtchens, an dessen südwestlicher Ecke, liegt
ein niedriger, von der Aich umflossener Hügel, welcher die nun
gänzlich verschwundene Burg der alten Besitzer von Grötzingen
trug. Die Wiesen daselbst führen noch den Namen „hinter der
Burg.“ Den Namen eines ebenfalls vom Boden wie aus der
Geschichte verschwundenen Ortes Alt-Grötzingen bewahrt das
obere und untere Alt-Grötzinger Thal, das sich nordöstlich ge-
gen Wolfschlugen hinaufzieht. Die oben nachgewiesene Römer-
straße führt auf dem Rücken des Galgenberges zwischen der
diesseitigen und der Neckarthailfinger Markung hindurch und ist
noch in einer Breite von 18-20' vermarkt.

  Eigenthümlich sind in dem Aichthal unterhalb Grötzingen im
sogenannten Föllbach (Klingenbach) und am ganzen linken Hang
hin unter der Höhe von Hardt, wo das Aichthal einen einsamen,
stillen Charakter trägt, die durch einander geworfenen Felsblöcke.
Aus solchen besteht auch die sogenannte Ulrichshöhle (s. Hardt). Es
ist der harte Silbersand- oder Fleins-Stein. Die Einwohner schrei-
ben die Entstehung dieser Verwüstung einem sehr großen Gewässer
zu, von welchem noch die Volkssage lebt. Die Mulde auf der
Höhe gegen Wolfschlugen, von welcher der Föllbach herabkommt,
war ehemals mit einem See angefüllt, woher die dortigen Aecker
noch den Namen Seeäcker tragen.

  Die früheste, in gleichzeitiger Aufzeichnung erhaltene Nen-
nung des Orts erscheint in einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. für
Kloster Hirschau vom 9ten Oktober 1057, wo Güter bei Gretzin-
gun als uralter Bestandtheil des Hirschauer Klosterwidems auf-
geführt werden. Der Adel dieses Orts kommt vor um 1110,
[164] nämlich Vdalricus filius Ruperti de Gretzingen juxta Dageluingen;
dieser Ulrich beschenkte Kloster Hirschau mit Gütern in der Pfalz.
(Cod. Hirsaug. 52. ed. Stuttg.) Walther von Grötzingen ist im
Jahr 1181, Mai18, in Eßlingen Zeuge in Kaiser Friedrichs I.
Urkunde für Kloster Denkendorf und erscheint auch im Jahr 1191
in einer Kloster-Bebenhauser Urkunde. Heinricus nobilis de Gre-
zingen kommt vor im Jahr 1270, Febr. 2, in einer Urkunde
Heinrichs von Neuffen für Kloster Lorch.

  Von den Herrn von Grötzingen kam der Ort an die von
Bernhausen, vermuthlich durch Heirath; die nähern Umstände blei-
ben unbekannt; Guta von Grötzingen heißt die Wittwe Diepolds
von Bernhausen in einer Eßlinger Spital-Urkunde von 1342 Mai
17 (worin sie dem Spital einen Weinberg in Mettingen vergabt);
indeß hatte schon ein älterer Diepold von Bernhausen, wahrschein-
lich des Vorigen Vater, eine Beziehung zu Grötzingen, indem er
in der hiesigen Kirche im Jahr 1286 beerdigt wurde (s.oben). Der
jüngere Diepold verkaufte 1337, Dec.3, mit seinen Söhnen Wer-
ner, Diepold, Walther, Wolf, Diepold, Eberhard, Marquard
und Konrad Burg und Stadt Grötzingen mit allem Zugehör und
dem mehreren Theil des Kirchensatzes an Graf Ulrich von Würt-
temberg für 5000 Pfund (Arch. Urk.); ein früherer Verkauf von
1335, wonach die Hälfte der Burg und Stadt sammt Zugehör für
2250 Pfund an den Grafen Rudolph von Hohenberg übergeben
sollte (Orig. in Stuttgart), wurde rückgängig (Sattler, Topogr.
165). Rechte an dem Kirchensatz kaufte Württemberg noch im Jahr
1342, Feb. der Familie Bernhausen ab.

  Der Kirchensatz ging zwar im jahr 1445 durch Kauf an den
Kirchheimer Spital über (Cleß C. 666), doch behielt Württemberg
die Leihung der Kirche (Steinhofer 2, 876).

  Güter und Gefällrechte hatten hier die Klöster Hirschau (1075
unter den an Kloster Hischau zurückgegebnen Besitzungen erwähnt,
1341,1387,1401,1453) und Denkendorf (Schmidlin, Beitr. 2, 70,
Cleß C. 130), besonders auch der Spital in Eßlingen (laut dessen
Lagerbuch von 1304); letzerer besaß allda ein ansehnliches Hofgut und
wurde im Jahr 1397, Febr. 15, von Herzog Leopold von Oesterreich
mit 1 ½ Laienzehnten in Alt-Grötzingen belehnt (den andern Halb-
theil empfingen von Kaiser Maximilian I. zu Lehen 1514, Nov. 13,
Bernhard Majer und seine Brüder. Eßlinger Arch. Urk.).******

  Das Wappen von Grötzingen ist wie das der Herrn von Bern-
hausen *******, drei grüne Querbalken in goldenem Felde, nur mit
dem Unterschied, daß auf dem Stadtwappen das goldene Schildes-
haupt mit dem württembergischen Hirschhorn und zwar einem
vierendigen belegt ist.

 Anmerkungen:
* Diese hatte ihre hiesigen Rechte als Erbin des Stiftes Sindelfingen,
an welches sie unter Probst Heinrich Degen (+ 1457) gekommen waren.
Sattler Topogr. 328.

  ** Wirklich sollen sich die Grötzinger in ältern Zeiten auf das wehr-
hafte Aussehen ihres Städtchens nicht wenig zu Gut gethan haben, Noch
ergötzt man sich an der Sage, daß als i.J. 1546 ein kaiserliches Streif-
corps sich dem Orte näherte, die Bürger in Ermanglung von etwas Besse-
rem auf den Einfall kamen, hölzerne Brunnenteichel auf ihre Stadtmauer
zu schaffen und deren Mündungen drohend zu den Schießscharten heraus-
schauen zu lassen, worauf die Kaiserlichen eilig das Weite gesucht haben.
So erzählen Crusius, Zeiler, Rebstock; anders aber Fischlin Mem. theolog.
1,70: non his tubulis, sed Bindero pastori conservationem suam
debuerunt 1546 Grezingenses, qui capitaneis Hispanorum obviam
processit...cujus sermonibus permoti discesseruni.

  *** Noch vor der Reformation bestanden drei Caplaneipfründen, die
Frühmeß-, heilig Creuz- und Sanct Catharina-Pfründe, welche Württem-
berg zu vergeben hatte.

  **** Das Schulhaus und das Rathhaus brannten am 31. August 1845
ab. Mit dem Wiederaufbau wurde im Frühling 1846 begonnen.


  *****In alten Zeiten hatte Grötzingen eine Badstube, welche einen Zins
an das Kloster Denkendorf entrichtete.

  ****** Eine etwa 400 Jahre alte Kundschaft von dem damaligen Pfarrer
Bader zu Grötzingen, sagt: daß G. ursprünglich ein Weiler gewesen, der
in die Kirche zu Thailfingen gehört habe, und habe Altgrötzingen ge-
heißen. Die Alten sagen, die Einwohner seyen wohlhabend gewesen und
auf Zeltern an Sonntagen und heiligen Tagen in die Pfarrkirche gen
Thailfingen geritten. „Als das Städtlein ward angefangen, ritt ein Edel-
mann auf und ab, dick und viel, bis er das Fundament gesetzt, und war
der Zweifel groß, ob er das Städtlein wollt setzen gen Esch (Aich), und
beschah das nicht, denn die Landstraß gieng dazumal neben Grötzingen hin,
nicht fern, als viele Leute noch wissen.“ Nun sey eine Capelle im Städt-
chen erbaut worden von denen von Bernhausen; das Städtchen sey aber
noch nach Thailfingen eingepfarrt gewesen und erst später eine Pfarrei da
errichtet worden. Gabelkofer`sche Notizen behaupten das Gegentheil, daß
nämlich Grötzingen die Mutter von Thailfingen sey. Vielleicht haben,
wenn zwischen Alt- und Neu-Grötzingen unterschieden wurde, beide Theile
Recht. Wirklich findet sich auch 1301 eine Caplanei S. Michaelis in
Grötzingen. Im Jahr 1344 nennt sich ein Eberhard von Bernhausen den
Kirchherrn von Thailfingen und von Grötzingen.- Grötzingen bildete 1442,
1465 und noch 1483 ein eigenes Amt (Sattler II. Forts. 149, III.47, 198),
das schon 1498 ein selbständiges Landstandsrecht ausübte. - Im Jahr
1388 wurde das Städtchen von den Eßlingern belagert und hart mitge-
nommen und 1393 von den Gmündern beschädigt. Im Jahr 1609 grassirte
die Pest. Am 31. August 1845 brannten 12 Gebäude ab.


  *******Vergl. hierüber die Beschreibung des Amts-Oberamts Stuttgart.