Ortsbeschreibung von Linsenhofen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 173 bis 177
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16. Linsenhofen,

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde II. Cl. mit 1227 Einwohnern, 1 5/8
Stunden südlich von Nürtingen an der Steinach und der Straße
nach Neuffen. Zu beiden Seiten des hier noch ziemlich engen
Neuffener Thales, wo das Thälchen von Beuren einmündet, zieht
sich die Feldmark von Linsenhofen die niedrigen, mit Obstbäumen
und Reben bepflanzten Hügel hinan, deren Höhen weiterhin mit
Laubwald bedeckt sind. Fruchtbau und Viehzucht sind hier ganz
untergeordnet, da die Markung sowohl für ersteren als für Wies-
wachs sehr beschränkt, und der leichte Boden nur zum Theil frucht-
bar, zum größeren Theile aber ziemlich humusarm und mager ist.
Um so erfolgreicher wird Obstzucht und Weinbau getrieben, begünstigt[174]
durch das, vermöge der geschützten Lage merklich mildere Klima.
Um das Emporbringen der ersteren hat sich die Gemeindeverwal-
tung schon in früherer Zeit, besonders aber der verstorbene Schult-
heiß Eberhard (oben S. 59) verdient gemacht. Außer den übri-
gen, gemeineren und edleren Obstsorten, die in Menge gezogen
und theils grün verkauft, theils gemostet und gedörrt werden,
sind es besonders die Kirschen, wegen welcher Linsenhofen mit
Recht eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Es ist zum Verwun-
dern, zu welcher Größe und Ergiebigkeit hier die Kirschbäume ge-
deihen; es gibt welche, von denen 12-15 Centner Kirschen gewon-
nen werden. Man zählt gegen 20 verschiedene Sorten, von denen
einige ganz besonders geistreich sind und den wohlbekannten Linsen-
hofer Kirschengeist geben, der in die Nähe und Ferne, sogar bis-
weilen nach Amerika, versendet wird. Die Kirschensteine werden
gewaschen, getrocknet und dann in der Mühle gestoßen; die Kerne
geben ein gutes Brennöl und die Hülsen ein sehr brauchbares
Brennmaterial für die Backöfen. Auch gedörrt werden viele Kir-
schen, und mit Kirschensaft zum Färben der Weine ein nicht un-
bedeutender Handel getrieben. Am wichtigsten aber ist der Verkauf
der frischen Kirschen an oberschwäbische, auch bayrische Händler.
Einige Wochen hindurch, so lange die Kirschenzeit dauert, besteht
hier ein förmlicher Kirschenmarkt, und gehen fast täglich 3,4,5
Wagen ab, in welchen schichtenweise ein Korb mit 40-50 Pfund
an dem andern steht. Im Jahr 1844, wo Linsenhofen gegen an-
dere Orte hierin gesegnet war, wurde der Centner mit 6 fl. 40 kr.
bezahlt. Auf diese Art hat in guten Jahren der Kirschenertrag
schon 16-18,000 fl abgeworfen.- Der hiesige Wein wird für
den vorzüglichsten an der Alptraufe gehalten; wenigstens gilt dieß
unzweifelhaft von einer nordöstlich vom Ort gelegenen Halde, der
Sand genannt.

   Z`Linsenhofen uffem Sand
   Wachst der best im Oberland.

  sagt das Sprüchwort, und man muß ihm Recht geben, wenn auch
die eigenliebige Lokal-Variante: “im ganzen Land“ zu viel sagt.
Auch hier sind Silvaner und Elbling die vorherrschenden Sorten.
Der Wein ist mild, angenehm, und am meisten dem Schnaither
(Remsthaler) ähnlich, für welchen er nicht selten von den Wirthen
ausgegeben wird. Der Gesammtertrag der hiesigen Weinberge kann
sich in guten Jahren auf 600 Eimer und darüber belaufen. Bezahlt
wurden in den letzten 6 Jahren 12-44 fl. per Eimer. Der Absatz
geht in die benachbarten Städte bis Tübingen, auf die Alp und
über diese hinüber in die Gegend von Ehingen. Ein Morgen in [175]
der besten Lage wird bis zu 2400 (s. oben S. 65), in der geringsten
immer noch mit 350 fl. bezahlt. Von dem S. 64 erwähnten auf
Gemeinkosten angelegten Stockland mit edleren Gattungen wur-
den im Jahr 1844 4000 Stücke unentgeldlich vertheilt.- Der Holz-
mangel ist sehr fühlbar, wiewohl die Gemeinde 200 Morgen Laub-
und gemischte Waldung besitzt. Bemerkenswerth ist eine von der
Gemeinde angelegte Weidenpflanzung zu Ernteweiden, die bereits
einen schönen Ertrag abwirft.- Die Rindvieh- und Schaf-Zucht
ist unbedeutend; der Pacht der Schafweide erträgt der Gemeinde
118 fl. Die Bienenzucht ist dagegen nicht ganz unerheblich.

  Die Einwohner sind thätig und betriebsam; ihr Gesundheits-
zustand ist im Ganzen gut, wiewohl sie an kräftigem Aussehen
ihren Nachbarn in Beuren merklich nachstehen. Eine üble Sitte
ist, die freilich auch anderwärts häufig anzutreffen ist, daß nicht
selten sogar Kinder Branntwein zum Frühstück gereicht wird. Bei
dem spärlichen und sehr zertheilten Grundbesitz hängt der ökono-
mische Zustand lediglich von dem Gedeihen oder Mißrathen des
Obstes und des Weins ab. Die gewöhnlichen Professionen sind
ziemlich vollständig hier, werden aber meistens nur im Kleinen
betrieben. Am zahlreichsten sind die Weber, welche zum größeren
Theile von Kirchheim aus in Baumwollenwaaren beschäftigt wer-
den, und die Branntweinbrenner, deren 18 vorhanden sind. Ein
geschickter Wagner (Albrecht Hahn) baut hübsche und solide Ge-
fährte auf Bestellung nach den benachbarten Städten. Empfindlich
fällt den ärmeren Einwohnern die Abnahme des Spinnverdienstes,
- da noch kein Ersatz für diese Beschäftigung, welcher sich in den
Wintermonaten Männer, Weiber und Kinder fleißig widmeten,
ausfindig gemacht worden ist. Einigen Verdienst gibt im Frühjahr
die hier eingerichtete Schafwäsche (oben S. 77). Noch ist ein
Handelsartikel zu erwähnen, der noch immer nicht ganz unbeträcht-
lich ist; es werden nämlich aus andern Orten jeden Herbst viele
Bienenstöcke zusammengekauft, die Bienen getödtet, und Wachs
und Honig auswärts abgesetzt. Der Ort hat ein Gemeind-Back-
haus. Schildwirthschaften sind 3, Mahlmühlen 1 vorhanden,-
Sämmtliche Zehnten erhebt der Staat, und zwar den kleinen und
Heu-Zehnten für die verwandelte Pfarrstelle. Nur an dem Frucht-
zehnten hat der Hospital Nürtingen einen zu 170 fl. berechneten
Antheil. Die Gemeinde hat 16 43/44 sämmtliche Fruchtgülten, die
auf der Markung ruhten, im Kapitalbetrag von 6000 fl. abge-
löst; an Hellerzinsen, sowohl auch hievon Ablösungen Statt hat-
ten, werden jährlich noch an den Hospital in Nürtingen 140 fl.
bezahlt.

  Das im Thalgrund freundlich gelegene Dorf hat ein sauberes[176]
Aussehen und ist durch die Nürtinger Straße belebt, die sich hier
in die frequentere nach Neuffen und auf die Alp, und in die
Vicinalstraße nach Beuren theilt, welche in das Lenninger Thal
und ebenfalls auf die Alp führt. Die Pfarrkirche steht an der Neuf-
fener Straße; für den unvermöglichen Heiligen wird sie von der
Gemeinde im Bau erhalten. Eine eigene Pfarrei besteht erst seit
1468, indem Linsenhofen früher Filial von Nürtingen war.
Die Kirche aber ist augenscheinlich älter, und dürfte ihrer Bauart
nach wenigstens der ersten Hälfte des 14ten Jahrhunderts angehö-
ren; eigenthümlich ist (wie bei der Marienkirche in Reutlingen)
der rechtwinklige Chorabschluß. Im Jahr 1604 wurde das Schiff
erneuert und verlängert, und dadurch unverhältnißmäßig schmal.
Der Begräbnißplatz befindet sich hinter der Kirche; dieser gegen-
über steht das Pfarrhaus, welches dem Staat gehört. Rathhaus
und Schulhaus sind beide alt. An der Volksschule unterrichten
ein Lehrer, ein Unterlehrer und ein Lehrgehilfe; auch besteht eine
Kleinkinder-Bewahranstalt. Ein Liederkranz hat sich seit einiger
Zeit gebildet. Der Ort selbst ist mit gutem Quellwasser nicht reich-
lich, im hohen Sommer sogar sehr spärlich versehen; aber ein treff-
licher, vom Volk für heilkräftig gehaltener Brunnen ist der soge-
nannte Wasenbrunnen unterhalb des Dorfes.

  Am Nordostende des Ortes erhebt sich der, an seinem Süd-
abhang mit Reben bepflanzte Basalttuff-Hügel Bettenhart.

  Linsenhofen kommt um 1100 unter den Orten vor, wo Kloster
Zwiefalten Besitzungen erhielt (Berthold. Zwif. mscr. S. 41). Mane-
goldus de Sunemotingen, nobilis, et Mahtilt, soror comitis de
Urahe, uxor ejus, nec non filii et filiae eorum monasterio Zwi-
faltensi inter alia dederunt apud Linsinhofen duo mansus.-
Berthold Merhelt von Wurmlingen, Edelknecht zu Frickenhausen,
verschafft 1358 aus seiner Wiese, gelegen bei dem alten Weg, sei-
nen Töchtern, Adelheid und Mie, Klosterfrauen in Kirchheim,
2 Pfd. Heller. - Hier waren auch die von Hörnlingen begütert;
1443 verkaufen Heinrich von Hörnlingen und seine Schwester ihre
Güter an einen Bürger in Neuffen für 500 Pfd. Heller.

  Im April 1582 war hier eine große Feuersbrunst.

  Dorfrecht und Ehehaften von Linsenhofen aus dem Jahr 1506
sind abgedruckt bei Fischer Erbfolge 240.- Auf dem hiesigen Rath-
hause findet sich ein Diplom K. Ferdinands von 1533, worin den
Beamten in Nürtingen aufgegeben ist, die Bürger von Linsenhofen
bei ihren Freiheiten wegen Kaufens und Verkaufens zu schirmen
und zu wahren.

  Mit Neuffen ist Linsenhofen im Jahr 1301, württembergisch
geworden.