Ortsbeschreibung von Neckartailfingen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 185 bis 190
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19. Neckar-Thailfingen

evangelisches Pfarrdorf mit Marktgerechtigkeit, Gemeinde III. Cl.
mit 1180 Einwohnern, darunter 5 katholische Filialisten von Unter-
Boihingen, 1 6/8 Stunden westsüdwestlich von Nürtingen, am Neckar
und an der Staatsstraße von Stuttgart nach Urach und Reutlin-
gen, sowie an der Straße von Nürtingen nach Tübingen, Sitz
eines Amtsnotars, eines Postamts und eines Distriktarztes, auch
Stationsort des k. Landjäger-Corps (Forstamt Tübingen).

  Als Neckarthalort hat Neckar-Thailfingen mit seiner ziemlich
ausgedehnten Markung den beiden vorgehenden Gemeinden, na-
mentlich Neckarhausen, in der Hauptsache analoge Verhältnisse.
Der Fluß, dessen Gefälle unterhalb des Orts gering ist, schadet
häufig durch Ueberschwemmungen, hat häufige Kiesriffe abgesetzt
und Altlachen gebildet, so daß seine Regulierung schon sehr große
Kosten verursacht hat und von Zeit zu Zeit immer wieder verur-
sacht. Auch die Authmuth, der Grenzbach entlang der Markung
von Raidwangen, und der Höllbach werden bisweilen den nahen
Wiesen verderblich. Das Thal hat vielen Kiesgrund, auch frucht-
baren Sandboden, während an den Hängen ein schwerer fetter
Lehmboden vorherrscht, fruchtbar besonders an Dinkel, dessen Ge-
halt den hiesigen Fruchtbau unter die bessern des Oberamts stellt.
Hanf wird viel gebaut, auch in neuerer Zeit mehr Flachs als
füher, Ackerpreise 40, 240—600 fl. Wiesenfutter wird viel und
gut, doch seit der gesteigerten Rindviehhaltung wenig mehr zur
Ausfuhr erzeugt. Preise 120 – 200- 500 fl. Der Weinbau ist
untergeordnet, wichtiger die Obstbaumzucht und in zunehmender
Ausdehnung. * - Die Pferdehaltung ist die stärkste im Oberamt
und hauptsächlich durch den lebhaften Straßenverkehr veranlaßt;
die Nachzucht aber hat abgenommen. Die Rindviehzucht ist in
blühendem Zustand und wird fortwährend durch gute Farrenhal-
tung (neuerlich weniger durch gut gewählten Zukauf) verbessert.
Mehrere Bürger beschäftigen sich noch immer namhaft mit Schaf-
haltung; auch die Schweinemast und Geflügelzucht verdienen ge-
nannt zu werden. Die Fischerei, Eigenthum einzelner Bürger, ist
auch hier nicht mehr so ergiebig als früher, doch liefern die Alt-
wasser bisweilen schöne Aale und Hechte.

  Der Gesundheitszustand der Einwohner war früher häufig
durch den Einfluß der Altwasser gefährdet, indem kalte Fieber[186]
hier einheimisch waren; durch allmählige Austrocknung oder Ab-
leitung eines Theils der stagnirenden Gewässer hat sich das
Uebel zwar vermindert, doch noch nicht ganz gehoben. Hinsichtlich
der intellektuellen Ausbildung sollen die hiesigen Leute auf einer
höheren Stufe stehen als mehrere der Nachbarorte. Die ökono-
mischen Verhältnisse, über deren Zerrüttung vor etwa zwanzig
Jahren noch sehr geklagt wurde, haben sich unläugbar verbessert,
und können, so wie die Mittel des Auskommens, vergleichungs-
weise befriedigend genannt werden. Außer Feldbau und Viehzucht
müssen unter den Erwerbszweigen auch die macherlei Gelegen-
heiten zum Verdienst gezählt werden, welche die Landstraßen und
die starke Durchfuhr darbieten, als Vorspann, Straßenarbeiten etc.,
und Wasserbauten. An Handwerksbetrieb fehlt es nicht, wiewohl
in dieser Hinsicht noch mehr Thätigkeit zu wünschen wäre. Das
Bäcker- und Wirthschafts- Gewerbe (7 Schildwirthe) ist das stärkste;
auch findet sich eine Bierbrauerei, eine kürzlich neu erbaute Ge-
treidemühle, eine Färberei und eine Seifensiederei. Der Ort hat
ein Gemeindeback- und Wasch-Haus, eine Apotheke und drei ge-
mischte Waarenhandlungen; auch wird lebhafter Handel mit Bau-
und Schnitt-Holz getrieben. Die Kram- und Vieh-Märkte,
welche alljährlich zweimal, im Juli und November, abgehalten
werden, sind, besonders letztere, sehr besucht und lebhaft; auch
wird viel Hanf, Flachs, Abwerg und Tuch zu Markt gebracht.
Seit zwei Jahren besteht versuchsweise eine Gemeindebleiche,
bei welcher zwei Bleichknechte zur Aufsicht angestellt sind, und
welche im Ort selbst wie in der Nachbarschaft Anklang findet.
Außer einem schönen Laubwald von etwa 260 Morgen hat die
Gemeinde einen nicht unergiebigen Besitz an den Weidenpflanzun-
gen des Neckarbaus, und bezieht aus der verpachteten guten Schaf-
weide jährlich 1000 fl. Auch hat sie den Pfarrwidumhof erworben
und trägt den Berghof, einen ehemaligen Kloster Hirschau`schen
Pfleghof, zu Lehen, woraus sie an das Kameralamt die Gült lie-
fert, welche sie von den einzelnen Bürgern, unter welche die Güter
vertheilt sind, einzieht. Die Grundabgaben, welche an den Staat
(Universität Tübingen), an die Hospitalpflegen Eßlingen, Kirch-
heim und Nürtingen, sowie an die örtliche Stiftungspflege zu
entrichten sind, sind bedeutend. Von dem großen Zehten gehören
dem Staat (Universität) 11/24 und dem Hospital Kirchheim 13/24
Der kleine Zehnte gehört der Pfarrei, welcher in Gemeinschaft
mit der Commune als Inhaberin des Widumshofs der Heuzehnte
zukommt. ** Letztere bezieht auch den Strohertrag nebst 5 Scheffel[187]
Dinkel und 5 Scheffel Haber von dem Kirchheimer Zehtantheil
gegen Einführung des letzteren. Der Weinzehnte gehörte der
Universität.

  Neckar-Thailfingen (in der Volksaussprache Dolfingen, was auf
das ursprüngliche Dagolfingen deutet) ist ein ansehnliches Dorf,
am linken Neckarufer hin lang gestreckt, ohne eigentliche Seiten-
gassen. Die Pfarrkirche (zum h. Martin) gehört zu den beach-
tenswürdigern älteren Bauwerken Württembergs; sie ist im edlen
Styl der byzantinischen Bauart wahrscheinlich zu Anfang des 12ten
Jahrhunderts erbaut. Der Chor ist außen rechtwinklich abge-
schlossen und hat ein hohes und schlankes Rundbogenfenster; innen
ist die Chornische halbrund. Das Langhaus ist dreischiffig; das
Mittelschiff hat, wie die beiden Seitenschiffe, eine flache Bretter-
decke. Das offenbar spätere südliche Seitenschiff hat Spitzbogen-
das nördliche kleine runde Fenster, beide aber gegen Morgen
halbrunde Altarnischen, gleich dem Chor. Die Säulen haben
Würfelcapitäle. Das Innere ist durch Emporen sehr verbaut.
Gegen Süden steht in der Mitte der Abseite eine zierliche gothi-
sche Vorhalle. Das Ganze ist mit gelben Sandstein mehr nur
überkleidet, als aus solchem wirklich aufgeführt, und zeigt besonders
am Chor mehrere sehr bedenkliche Risse. Der Thurm an der
Abendseite, der ein schönes, haronisches Geläute trägt, ist jünger
als die Kirche, ebenfalls eine sehr reinliche Arbeit aus gelben
Sandsteinquadern, aber gegen Südwest merklich gesenkt. Die
weiten Schallfenster haben sehr zierliche gothische Füllungen von
ähnlicher Zeichnung, wie am kleinen Stiftsthurm in Stuttgart.
Ueber dem Eingang liest man die Jahrszahl 1501 (nicht 1401).
Das Eigenthumsrecht an der Kirche und somit die Baulast ge-
hört ohne Zweifel dem Ortsheiligen. Das Kirchenpatronat steht
der Universität Tübingen zu, ein Recht, das unter der vorigen
Regierung eine Zeitlang suspendiert war und erst 1819 wieder
zurückgegeben wurde. Vor der Reformation bestanden eine Früh-
meßpfründe, eine Marie-Magdalenen- und eine Caplanei zu U.
L.Frau. Erstere hatte Württemberg, die zweite das Fischer`sche
Geschlecht und letztere das Capital Urach verleihen. Diese
sämmtlichen Pfründen wurden 1536 für die Universität eingezogen
(Hofmann Darstellung des ökonom. Zust. der Tüb. Hochsch. S.15).
In alten Zeiten scheint die hiesige Parochie über mehrere benach-
barte Orte, namentlich Schlaitdorf, ausgedehnt gewesen zu seyn,
jetzt ist noch Altdorf hierher eingepfarrt. Der oberhalb der Kirche
gelegene Begräbnißplatz ist 1844 erweitert und in eine neue und
gefällige Anlage umgeschaffen worden. Das Pfarrhaus in hoher
Lage, mit schöner Aussicht, 1770 neu erbaut, war Eigenthum der[188]
Universität, ist aber an die Staatsfinanzverwaltung übergegangen.
Das Schulhaus wurde 1829 auf Gemeindekosten erweitert; es
unterrichten ein Lehrer und ein Lehrgehülfe. Ferner bestehen eine
Industrieschule mit zwei Lehrerinnen, eine Kleinkinderbewahr-
anstalt und zwei Privatanstalten, in welchen Unterricht in den
Elementen, Realien und Sprachen ertheilt wird. Oeffentliche Ge-
bäude sind noch: das Rathhaus mit einem kleinen Thürmchen, das
Armenhaus, 1 Backhaus, 2 Waschhäuser, 1 Oekonomiegebäude etc.
Das Stationsgefängnis ist 1821 auf Staatskosten eingerichtet
worden. Zu den vorzüglicheren Privathäusern gehören die Post mit
Gasthof am oberen Ende des Orts, und die Apotheke. Eine irdene
Teuchelleitung versieht den Ort hinreichend mit gutem Quellwasser.
Bisher führte am untern Ende des Orts eine hölzerne, der Ge-
meinde gehörige Brücke über den Neckar. Nunmehr aber hat
die Gemeinde die Bau- und Unterhaltungs-Last gegen Verzicht auf
das Brückengeld im Capitalbetrag von 10,000 fl. und gegen ein
in zehnjährigen unverzinslichen Zielern zu bezahlenden Capital von
17,316 fl. abgelöst. Dagegen ist eine neue, auf Staatskosten
erbaute, ganz steinerne Brücke, etwas oberhalb der alten, im
Sommer 1844 begonnen und 1847 vollendet worden, welche eine
Zierde des ganzen Neckarthals ist. Der Kostenüberschlag beträgt
132,000 fl.

  Ein Hügel über dem südwestlichen Ende des Orts, über wel-
chen die Straße nach Tübingen führt, trägt den Namen des
Burgstalls. Es ist dieß einer der Standpunkte, an welchen die
Umgebung Neckar-Thailfingens reich ist, von wo sich das Gesammt-
bild der Gegend ebenso anmuthig als großartig darstellt. Von der
Burg ist längst keine Spur mehr vorhanden. Ums Jahr 1427
muß sie noch gestanden haben, s. hienach. Ihre Stelle ist jetzt
bewaldet.-- Spuren alter Wohnstätten finden sich hie und da
auf der Höhe zwischen Neckar-Thailfingen und Aich, daher die
Volkssage will, daß der Ort ursprünglich dort gestanden habe.
Von dem Heerweg oder der Hochstraße, welche die diesseitige
Markung gegen Grötzingen abgrenzt, s. oben bei Grötzingen und
Neckarhausen.

  Ums J. 1090, als Tageluingen, kommt der Ort vor aus der
Veranlassung, daß die Grafen Liutolt und sein Bruder Cuno von
Achalm an Kloster Hirschau einen Antheil an der Kirche und an-
sehnliche Güter, dergleichen bis in seine spätesten Zeiten dieses
Klosters allhier besaß, vergabten (Ortlieb bei Hess 170,Cod. Hirs.
94). An die Universität Tübingen kam die Kirche mit andern
Gütern des Stifts Sindelfingen, welchem letzern sein Probst
Heinrich Degen (+ 1457) solche erworben hatte (Sattler Topogr.[189]
328. Cleß.C. 297). An Württemberg kam der Ort mit Nür-
tingen.

  Auf der Ecke zwischen Authmut- und Neckar-Thal erhob
sich einst die Burg Liebenau. Auch diese ist längst verschwun-
den; aber ihre Stelle ist schon aus der Ferne kenntlich an einem
Schopf jungen üppigen Eichengehölzes, von welchem sie überwach-
sen ist. Wall und Graben sind deutlich zu erkennen; vor etwa
50 Jahren sollen noch Kelleröffnungen sichtbar gewesen seyn. Von
der Burg herab rinnt ein nie versiegender Brunnen vortrefflichen
Wassers. Liebenau war das Stammhaus eines eigenen Geschlechts,
das seinen Namen davon trug, und wovon einige Glieder ihre
Denksteine in der Ortskirche haben (s. hienach). Milites de Lie-
benowe sind im J. 1270, Febr. 2., Zeugen in einer Urk. Hein-
richs von Neuffen, Conradus de Liebenowe nobilis erscheint in
einer Archivalurk. von 1294, Mai 14.; Benz von Liebenau kommt
1331, Feb. 25., als Zeuge vor. Im J. 1349 war die Burg be-
reits an die spätische Familie übergegangen gewesen; damals ver-
kauften Utz und Heinz Spät ihre Burg Liebenau mit Zugehör an
Benz von Aldingen und 1368 Berthold von Aldingen dieselbe an
Hans und Fritz Schanbach für 800 Pfd., Hans Schanbach
aber 1392 an Kl. Denkendorf die „Liebenauer Güter und Gefälle,
d. i. Tagwerk, Wiesen, Landgarbe, Zinsen, Gülten und andere
Gefälle“ (Schmidlin Beitr.2, 36.70).

  Ob der Name Lichtenau, welchen in den Lagerbüchern ein
Distrikt gleich am Ort, rechts von dem Fahrweg nach Grötzingen
führt, ebenfalls einer Burg oder einem abgegangen Ort ange-
hörte, haben wir nicht zu ermitteln vermocht.

  Ueber das Kirchengeschichtliche s. auch Grötzingen. Herr Ludwig
von Bernhausen wird 1319 Kirchherr von Taluingen genannt;
1385 heißt es, in den Kirchensatz von Thailfingen gehören Thail-
fingen, Grötzingen, Schlaitdorf und Altdorf; er war damals schon
im Besitz der Kayb. Berthold Kayb und Else von Dürrmenz,
seine Hausfrau, übergeben 1428 denselben dem Stifte Sindelfin-
gen; sofort gestattet auch der Abt von Reichenau, daß Berthold
den von Reichenau zu Lehen getragenen Zehnten dem Stifte über-
gebe, doch daß dieser dafür jährlich 1 Pfd. Pfeffer entrichte. In
dem Dorfe selbst waren, nach einem Bericht von 1535, in ältern
Zeiten viele Edelleute gesessen; ein Burgstall fand sich aber nicht
mehr. Conrad von Winberch, ein Freier, tritt 1301 sein Recht
an die Bissinger Hube an Adelheid, Wittwe Bertholds von Schloß-
berg, ab. Berthold Kayb, Edelknecht zu Neckar-Thailfingen ge-
sessen, kommt 1427 vor. Das Kloster Hirschau hatte hier eine
eigene Pflege oder Verwaltung, auch noch nach der Reformation.[190]
Namentlich besaß es die oben erwähnten beiden Berghöfe, „ob dem
Dorf gelegen,“ 140 J. Aecker und Wiesen und 25 Mrg. Wald
umfassend, welche es 1515 der Gemeinde gegen jährliche Gülten
daraus abtrat. Dieselbe kaufte auch 1521 vom Kloster den 60 Mrg.
großen Wald Rysch um 200 Pfd. Hell. (s. auch Groß-Bettlingen).
- Ums Jahr 1456 hat das Dorf durch Feuer sehr gelitten.
Im 30jährigen Krieg (Im Oktober 1634) brannte es fast ganz ab;
die Einwohner zerstreuten sich, und erst 1645 wurde wieder ein
eigener Pfarrer bestellt. 1609 herrschte die Pest.- Von Lie-
benau sagt der Bericht von 1535: es seyen nur noch Gemäuer
und Graben sichtbar. Conrad von Liebenau, Agnes von Neuhau-
sen, seine Hausfrau, und ihre Kinder Bernhard und Elisabeth
liegen in Thailfingen begraben. Agnes von Liebenau verkauft
1344 mit Zustimmung ihres Sohnes Berthold drei Leibeigene von
dem Neuenhaus an die Frauencaplanei zu Aich um 5 Pfd. Heller.
Das Kloster Denkendorf erhielt 1392 nicht bloß die Liebenauer
Güter (wie Schmidlin sagt), sondern auch laut der Originalurk.
„die Vestin Libenawe“ mit aller Zugehör an Leuten, Gütern,
Vogtei etc. von Hans von Schanbach, und zwar der Gutthaten
wegen, die es diesem erwiesen hatte.

  * Im J. 1847 wurden nach öffentlichen Blättern 50- 60,000 Simri
Kernobst und 12,000 Simri Zwetschgen zum Verkauf gewonnen.

  ** Das Einkommen der Pfarrei ist seit 1. Jul. 1846 verwandelt.