Ortsbeschreibung von Neuenhaus 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 190 bis 194
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20. Neuenhaus

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde III. Cl. mit 727 Einwohnern,
3 ¼ Stunden westlich von Nürtingen an der Aich und Schaiach
(Forstamts Tübingen). Man tritt hier in eine von den übrigen
Gegenden des Oberamtsbezirks merklich verschiedene Natur. Neuen-
haus gehört schon ganz dem Schönbuch an. Die Aich und Schaiach,
welche sich hier vereinigen, winden sich aus engen, dicht bewal-
deten Thälern heraus, die mit ihren zahlreichen, in die Seiten-
wände tief eingeschnittenen Klingen und Schluchten einen ernsten,
um nicht zu sagen finsteren Charakter tragen. Das Auge erblickt
fast nichts als Wald und Wiesen; die wenigen Felder sind von
mittelmäßiger Fruchtbarkeit und haben größtentheils einen roth-
sandigen Boden; dieser Farbenton, verbunden mit dem feucht-
kühlen Luftzug, welcher durch die Thähler strömt, vollendet das
Düstere des Eindrucks. Der Fruchbau reicht bei Weitem nicht
für den örtlichen Bedarf zu. Dagegen wird – wenn gleich bis-
weilen durch heftige Ueberschwemmungen gefährdet - viel und
gutes Wiesenfutter gewonnen, das zum Theil nach Außen verkauft
wird, indem die Viehhaltung verhältnißmäßig nicht sehr ausge-
dehnt ist. Die Stallfütterung ist jedoch neuerdings ganz einge-
führt, da die Schönbuchweide abgetreten ist. Die an Auswärtige[191]
verpachtete Schafweide erträgt 150 fl. Die Obstzucht ist gering,
wohl die geringste im Oberamt, wie denn überhaupt für die Cul-
tur hier noch Manches zu thun ist. Noch immer ist, wenn auch
bei Weitem nicht mehr in dem Grade wie früher, der Schaden
fühlbar, den das Gewild, dessen der nahe Schönbuch aller Arten
beherbergt, von Zeit zu Zeit in Feldern und Gärten anrichtet.

  Eine Naturgabe ist in Hafner-Neuhausen, wie der Ort
im Munde des Volks gewöhnlich heißt, immer fleißig ausgebeutet
worden. Es findet sich nämlich in dem nahegelegenen Wald Hoch-
berg in reichlicher Menge eine gute Töpfererde sowohl weiße zu
Kochgeschirren aller Art, als rothe zu Schüsseln, Milchtöpfen,
Krügen etc. Diese Erdgrube ist nun Gemeindeeigenthum. Ihr
Areal von 86 Mrg. ist unter den 400 Mrg. Gemeindewald be-
griffen. Schon Herzog Ulrich soll zur Benutzung derselben aufge-
muntert haben, indem er eine Anzahl Hafnermeister aus Franken,
angeblich die Stammväter der heutigen Hafner in Neuenhaus,
hierher zog und mit mehreren Privilegien, namentlich dem freien
Holzbezug aus dem Schönbuch versah, eine Vergünstigung, die in der
Folge sehr beschränkt worden sey. Für das Thongraben hatte jeder
Meister jährlich 100 Stück Eier, seit 1819 aber 40 kr. zu entrich-
ten. Diese Industrie – freilich zu keiner Zeit sehr einträglich -
hob sich zu einem bedeutenden Umfang, indem die Waaren auf
den Märkten in der Nähe und Ferne und außerdem durch freies
Hausiren in allen den Orten, wo keine Hafner ansäßig sind, ab-
gesetzt wurden. Ums Jahr 1790 zählte man 40 Meister, gegen-
wärtig sind es deren 78 (unter 120-130 Bürgern). Ob sich ihre
gedrückte Lage durch das 1847 ihnen wieder allgemein eingeräumte,
seit 1820 nur auf die ältern Meister beschränkt gewesene Recht zum
Hausirhandel bessern wird, ist von der Zukunft zu erwarten. Das
Geschirr wird in zwei großen, Privaten gehörigen, Oefen gegen
eine Abgabe von 12 kr. an den Inhaber gebrannt. Früher bestan-
den drei solcher Brennöfen. Ein fleißiger Meister kann des Jahrs
5-6, mit Beihülfe anderer Personen auch 8 Brände zu Stande
bringen, deren jeder aus 12- 1600 Stücken besteht und über
Abzug des Aufwandes für Holz, Erfordernisse zur Glasur, Ver-
triebkosten etc. 15-20 fl. reien Erlöß gewähren kann.- Im
Staatswald befindet sich ein guter Mühlsteinbruch und in der Aich
trefflicher Bausand, der von auswärts geholt wird. Der Süß-
wasserkalk in einigen Brunnenklingen ist nicht Gegenstand der
Benutzung.

  Die Einwohner, deren Zahl seit 50 Jahren sich verdoppelt hat,
haben in Folge ihres Gewerbs und Verkehrs mit auswärtigen
Orten das Ländliche ihrer Nachbarn in Tracht und Manieren mehr[192]
oder minder abgelegt, leben aber mit sehr wenigen Ausnahmen
in um so dürftigeren Umständen, als, wie oben gesagt, der land-
wirthschaftliche Betrieb nur gering ist. In dieser Hinsicht steht
der Ort am Niedrigsten unter denen des Oberamts. Dabei mag es
auffallen, daß sich in dem sehr mäßig großen Dorfe 6 Schild- und
3 Gassen-Wirthschaften befinden, die wenigstens durch die neue Straße
von Nürtingen nach Waldenbuch und dem Schwarzwald nicht noth-
wendig wurden, da diese auf eine Strecke von 500 Schritten am
Ort vorbeiführt. Von sonstigen Gewerben ist nur eine namhafte
Mahlmühle mit Hanfreibe, welche durch einen Aichkanal getrieben
wird, zu erwähnen. Das Sammeln und Verkaufen verschiedener
Waldkräuter, Beeren, besonders aber der Wachholderbeeren, gibt
den Armen einen kleinen Nebenverdienst.

  Der Corporation ist seit Kurzem dadurch etwas aufgeholfen
worden, daß der Staat ihr gegen Verzicht auf ihre Schönbuchs-
ansprüche und Weidrechte etwa 400 Morgen Laubwald abgetreten hat.
Daneben bestehen noch Holztage für Arme.- Die Zehnten wer-
den sämmtlich dem Staat gereicht, der auch den kleinen und Heu-
Zehnten von der verwandelten Pfarrei übernommen hat. Das
Fischwasser in der Aich gehört den Bürgern.


  Die Lage des Orts ist eine nordöstliche am Abhang und Fuß
des Bergrückens zwischen Aich und Schaiach, die Bauart un-
regelmäßig, das Aussehen nicht vortheilhaft, häufig auch ziemlich
unreinlich. Die Kirche, ein altes 1425 erneuertes Gebäude, ist
wie der ganze untere Theil des Dorfs, heftigen Ueberschwemmun-
gen ausgesetzt. Jahreszahlen, welche die Erbauung der Kirche und
des Chors angegeben haben sollen, sind jetzt übertüncht; eine der-
selben auf der innern Seite des Chorbogens ist mit 1316 restaurirt
worden, es scheint aber nach der Bauart, daß es 1416 heißen
müsse; der Chor hat ein gutes Kreuzgewölbe; der ansehnliche
Kirchthurm mit schlanker Pyramide ist 1835 ausgebessert worden.
Die Baulast der Kirche ruht auf der Stiftungspflege. Bis 1559
war sie eine Filialkirche von Aich. Der Begräbnißplatz, der sie
umgibt, ist 1844 geschlossen und ein neuer jenseits der Aich an-
gelegt worden. Das Pfarrhaus ist ein 1835 auf Staatskosten ganz
neu von Stein aufgeführtes gefälliges Gebäude. Bis jetzt hatte
die Gemeinde ein schlechtes, ganz unzureichendes Schulhaus und
gar kein Rathhaus. Im Jahr 1845 wurde jedoch von der Ge-
meinde ein Haus für beide Zwecke erbaut; der Kostenvoranschlag
betrug 6800 fl. An der Schule ist ein Lehrer mit einem Lehr-
gehülfen angestellt. - Eine Winterindustrieschule besteht seit 1828.
- An gutem Quellwasser ist Ueberfluß. Ein periodischer, soge-
nannter Hungerbrunnen in einer Scheune am Südende des[193]
Orts floß seit 1816 und 1817 nicht mehr, selbst nicht in dem nas-
sen Sommer 1843.

  Auf der Nordseite des Dorfs, auf einem ebenen freien Platz,
welcher die Pfalz heißt, liegt umgeben von einem jetzt größten-
theils ausgefüllten Graben und See das Schlößchen, jetzt ein
bloßes Bauernhaus. Hans Spät von Neuenhaus kommt i. J.
1378 vor (Gabelk.), Albrecht Spät von Neuenhaus i. J. 1379.
Das Schlößchen war, sammt den dazu gehörig gewesenen Gütern
(wovon noch 17 M. Wiesen neusteuerbar sind), württembergisches
Ritterlehen, als dessen Träger z. B. i. J. 1623 die von Grempp
erscheinen. Nach dem Tode des letzten adeligen Inhabers, von
Rachowitz, 1707 kamm es an J.D.Pilger, Apotheker und fürstl.
Chemikus, der hier viel laboriert haben soll. Nicht unwahrschein-
lich ist, daß dieses Schlößchen im Gegensatz zu dem uralten
Burgstall auf der Höhe hinter dem Dorf das Neue Haus hieß,
und diesen Namen auf den erst in späterer Zeit nach und nach
entstandenen Ort übertrug, von welchem anfänglich nur dieses
Schlößchen, die Mühle und die Kirche, als Wallfahrtscapelle, ge-
standen haben soll. Von jener alten Burg aber ist keine Kunde
und kein Stein mehr übrig; nur in dem Namen des Burstel-
bergs oder Brustelbergs, an welchen das Dorf südlich sich an-
lehnt, hat sich ihr Andenken erhalten.

  Ein Forsthaus, das nach den Landbüchern im 16ten Jahr-
hundert die Lindenfels ingehabt hatten, und später von einem
Forstknecht bewohnt war, stand im Ort, auf dem Dachsbühl aber,
dem höchsten Punkt des waldigen Bergrückens Erzenberg, ein
ebenfalls längst verschwunderer kleiner Jagdpavillon, das grüne
Häuschen genannt. In diesem Wald finden sich wahrscheinlich
alte Grabhügel, s. oben.

  Oestlich von da im Mönchswald oder Bruderholz stand vor
Zeiten eine Waldbruderklause, von welcher noch zwei steinerne
Thorpfosten sichtbar sind. Kohlen, Schutt, Eisengeräthe etc. die
man hier ausgegraben, lassen auf eine gewaltsame Zerstörung durch
Feuer schließen. Unweit davon sprudelt ein starke Quelle, der
Mönchbrunnen hervor, dessen sehr kaltes Wasser einige incru-
stirende Eigenschaft hat.

  Namen wie Unholdenhau, Bösemannsklinge deuten
an, mit welchen Wesen die Volksphantasie diese unheimliche Wald-
region bevölkerte.

  Neuenhaus wurde nebst Steinenbronn und einem Theil des
Schönbuchwaldes i. J. 1347 dem Pfalzgrafen Conrad von Tübin-
gen, genannt der Scheerer, durch die Grafen Eberhard II. und[194]
Ulrich V. von Württemberg abgekauft (Sattler Grafen I., 153.
2te Aufl. Scheffer 23).

  Das Dorf gehörte ins Amt Nürtingen und (1526) ins Gericht
Aich. Der Pfarrei gedenkt bereits das Kellereilagerbuch von 1526,
wonach sie das Kloster Bebenhausen zu verleihen hatte. Derselben
standen damals sämmtliche Zehnten zu. Dasselbe Lagerbuch er-
wähnt noch des Bruderhauses im Schönbuch und der Brüder da-
selbst oder im Betzenberg. Die Ansiedlung fränkischer Hafner
wird weder hier noch in dem Schönbuchslagerbuch von 1587 ge-
dacht; die Eierabgabe lag, wie S. 191 gedacht, allen Hafnern im
Schönbuch ob. In Neuenhaus fanden sich 1587 deren 17. (Die
Töpferei im Bezirk ist schon alt; eine Hafnerbruderschaft war be-
reits 1512 in Nürtingen.) Im 30jährigen Kriege hatte das Dorf
viel gelitten; statt 55 Bürgern, die es zuvor gezählt, waren 1672
nur noch 16 vorhanden, und die Pfarrei war deßhalb 12 Jahre
lang mit jener von Aich verbunden. - Die Burg Neuenhaus
hatten noch 1403 die Späth im Besitz; damals verkaufte Catha-
rine Späth von dem Neuenhaus alle ihre Güter und Leute hier,
in Bonlanden, Aich etc. um 300 Pfd. Hll. an Württemberg (Satt-
ler II. Forts. 42). Nach diesen kam die Burg an Burkhard Zehen-
der, dann an Hans Noppauer in Reutlingen und 1466 an Hans
Ycher zu Rottenburg, von diesem 1480 an Hans Roth; 1548 besaß
sie Ludwig Schertlin, 1554 Ludwig und Albrecht Kneisser, 1561
Eberhard von Karpfen zu Thalheim. Im J. 1580 wurde Hans
Conrad Truchseß von Höfingen, 1586 Hans Sigmund von Rem-
chingen und 1591 Hans Conrad Grempp von Freudenstein die
Burg als Mannlehen von Württemberg gegeben. Als 1641 der
letzte Grempp gestorben, erhielt sie 1644 Friedrich von Ragowitz
als Kunkellehen. Als aber dessen Wittwe 1670 starb, war die
Burg beinahe ganz zerfallen.