Ortsbeschreibung von Neuffen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 194 bis 203
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21. Neuffen

Stadt, Gemeinde II. Cl. nebst dem Jushof und 2 einzelnen Häu-
sern mit 1940 evang. und 3 kathol. Einw. (letztere Filialisten von
Unter-Boihingen), 2 3/8 St. südlich von Nürtingen an der Steinach,
Sitz des Cameralamts, eines Amtsnotariats, eines Distrikts-
und eines praktischen Arztes (Forstamts Urach).

  Von zwei, aus der Alpwand heraustretenden Vorsprüngen,
deren einer die stolzen Ruinen der Bergveste Hohen-Neuffen trägt,
der andere, ein schmaler, langhingestreckter Grat, in der breiten
Masse des Klausen- oder Jusi-Bergs endigt, und von dem flachen[195]
Rücken, in welchen diese Vorgebirge an ihrem Fuß auslaufen, wird
ein Kessel gebildet, in dessen Grund das Städtchen Neuffen von
Wein- und Obst-Gärten umgeben, freundlich, aber ziemlich versteckt
liegt. In diesem Thalkessel rinnt die Steinach aus mehreren
Quellbächen, dem Dürrenbach, Bauerlochbach etc. zusammen. Der
Boden ist für Getreidebau auf der erhöhten Fläche gegen Kohlberg
hin fruchtbar, sonst ziemlich flachgründig und nur durch den sehr
fleißigen Anbau zu dankbarer Ergiebigkeit gebracht. Die Haupt-
produkte sind Wein, * Obst, Hanf, auch guter Wieswachs und
Futterkräuter. Brodfrüchte werden kaum für das eigene Bedürfniß
hinreichend erzeugt. Die Ackerpreise stehen auf 60-250-500 fl.,
die Wiesenpreise auf 100-275-600 fl. Der Weinbau ist hier
am wichtigsten und ausgedehntesten im Oberamt. Die meisten
Weingärten liegen am Fuß des Festungsbergs. Nach hiesigem
Brauch enge (mit 4000 St. pr. Mrg.) und fast ausschließlich mit
Sylvanern bestockt, liefern sie in guten Jahren auf den Morgen
8-12 Eimer eines Gewächses, das im günstigen Fall mit 40 bis
44 fl., bisweilen noch höher bezahlt wird. In sehr trockenen Jahr-
gängen, wie z.B. 1834, wo bisweilen Strichregen an der Alp-
traufe hin die Reben erfrischten, hat das hiesige Erzeugniß von
Kennern den Vorzug selbst vor den beliebten Weinen des Rems-
thals erhalten, und wurde in größere Entfernung, namentlich
nach Stuttgart abgesetzt. In gewöhnlichen Jahren findet es seine
Abnehmer hautsächlich in Urach und auf der Alp. Es ist nicht
zu verkennen, daß durch zweckmäßigere Bestockung der hiesige
Wein, der früher nicht im besten Ruf stand, sehr gewonnen hat.
Ein Morgen Weinberg kommt auf 450-600 fl. zu stehen, doch
gibt es auch geringe zu höchstens 320 fl. Die gegen rauhe Winde
und Frühligsfröste ziemlich geschützte Lage begünstigt die Obst-
zucht, die hier sehr fleißig cultivirt wird. Besonders werden
Kirschen in Menge gewonnen, und Kirschengeist zum auswärtigen
Verkauf bereitet.** Nußbäume sind auf den Allmanden in großer
Zahl geplanzt worden. Die Rindviehzucht ist von mittlerm Be-
lang, die Schafzucht nicht unbeträchtlich. Die Wäsche, welche viele
Schafhalter mit ihren Alpheerden hier vornehmen lassen (s. oben
S. 77) beschäftigt im Frühsommer viele Hände.[196]

  Was die Bevölkerungsverhältnisse betrifft, so war die
Zahl der Angehörigen am 3. Decbr. 1846 1943, und zwar 943 männ-
liche und 1000 weibliche. Am 1. Nov. 1832 bestand dieselbe aus
915 männliche, 951 weiblichen, zusammen aus 1866 Seelen. Orts-
anwesende wurden gezählt am 3. Dec. 1846, 851 männliche,
943 weibliche, zusammen 1794. - Die Anzahl der Familien
belief sich 1832 auf 410; 1843 auf 467; 1846 auf 421. Die Zahl
der Ehen war 1846 276. Es kamen also auf 1 Ehe 7, auf 1 Fa-
milie 4,6 Angehörige. Geboren wurden, nach dem Durchschnitt
der 10 Jahre von 1832-42 jährlich 90,7. Es kommen daher auf
1000 Einwohner 46,6 Geburten oder 1 Geburt auf 21,4 Einw.,
unter 100 Geborenen waren 9,9 unehliche, oder die unehelichen
verhalten sich zu den ehelich geborenen wie 1 :9,1. Gestorben sind
nach dem genannten Durchschnitt jährlich 69,5 oder von 1000 Ein-
wohnern 35,7 (1 Sterbfall auf 28,0 Lebende). Auf 100 Sterbfälle
kommen 131 Geburten und während der 10 Jahre von 1832-42
hatte die angehörige Bevölkerung zugenommen, durch den Ueber-
schuß der Geborenen über die Gestorbenen um 212 (113 männliche,
99 weibliche). Dagegen abgenommen durch den Ueberschuß der
Ausgewanderten über die Eingewanderten um 36 (36 männliche),
im Ganzen also zugenommen 176 (77 männl., 99 weibl.).

  Ueber sechzigjährige waren im J. 1846 vorhanden: 170
oder auf 1000 Einw. 88.

  Der Wohlstand der arbeitsamen und ordnungsliebenden Ein-
wohner ist nur mittelmäßig. Es fehlt dem Städtchen bei seiner
abgeschiedenen Lage an Verkehr und Gelegenheit zum Verdienst,
die in früheren Zeiten wenigstens die Festung und der Amtssitz
in etwas größerem Maße dargeboten hatten. Zu wünschen wäre,
daß die jetzt in guten Stand gesetzte Straße auf die Alp nach
Böhringen, als der nächste Weg von Stuttgart nach Blaubeuren,
mehr benutzt würde. Die Auffahrt auf die Alp ist hier weit be-
quemer als mittels der Guttenberger Steig. Der Gewerbebetrieb
ist für ein Städtchen unerheblich; am stärksten besetzt ist die We-
berei; sie wird jedoch nur als Lohnarbeit und größtentheils ge-
sellenweise für Fabrikanten, in Neuffen selbst, Kirchheim und
Nürtingen betrieben und beschäftigt 55-60 Stühle. Es bestehen
1 Apotheke, 4 Handlungen mit Specerei- und etwas Ellen-Waaren,
3 Mahlmühlen, 1 Säg- und Oel-Mühle, 5 Schildwirthschaften und
1 Bierbrauerei. Die Vieh-und Kram-Märkte, welche alljährlich
dreimal, im März, Juni und November abgehalten werden, sind
wenig besucht. Wochenmärkte bestehen nicht.

  Die Stadtgemeinde ist im Besitzt eines ansehnlichen Waldes
(858 Mrg. Laubwald, darunter schöne Eichen) und einer guten[197]
Schafweide, die etwa 1000 fl. Pacht abwirft. Das Vermögen der
Stiftungspflege beträgt 5800 fl. Besondere Stiftungen sind:
908 fl für Armenbrod, 588 fl. für arme Schüler, 205 fl für
arme Kranke und Kinder. Auch bestehen zwei Armenhäuser. Den
großen und Wein-Zehnten bezieht der Staat, den kleinen (mit
Ausnahme der sogenannten Pfründgüter, welche dem Staat zehn-
ten) die Stadtpfarrei; Heu- und Oehmd-Zehnten wird in Folge
eines alten Vertrags nicht erhoben. Die Reallasten (zum größten
Theil gegen Staat, die Communkasse und örtliche Stiftungs-
pflege) sind namhaft.

  Das Wappen der Stadt, welches sich nur durch seine Farben
von dem der Herren von Neuffen unterscheidet, besteht in drei
schwarzen Hifthörnern mit schwarzen Bändern, übereinander, in
goldnem Felde.

  Neuffen hat weder Mauern noch Thore mehr und ist beson-
ders in seinen beiden Vorstädten von dorfmäßigem Aussehen; doch
fehlt es nicht an einer ziemlich geraden Hauptstraße und einigen
hübschen Privathäusern. Die Steinach, über welche eine steinerne
Brücke bei der obern Vorstadt führt, fließt durch diese, dann an
der Südseite des Städtchens vorüber und durch die untere Vor-
stadt. Die Pfarrkirche (zum heil. Martin, Bischof) in der
Mitte der Ostseite der Stadt, scheint aus der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts zu seyn; sie ist dreischiffig, münsterartig gebaut,
mit schmalem Mittelschiff und hat einen schönen und hohen Chor.
Die Südseite des Mittelschiffs ist nach der großen Beschädi-
gung der Kirche durch Feuer 1634 nur aus Holz wieder hergestellt
worden. Das Innere ist hell und geräumig; sie hat ein neues
Orgelwerk von Walker. Auch finden sich einige Monumente der
Schillinge von Canstatt, deren einer Heinrich mit seiner Ehefrau
Agnes 1351 die St. Johannis-Altarpfründe stiftete.*** Vor der
Kirche rechts vom Eingang ist ein in feinem Sandstein ausge-
führter Oelberg angebracht, mit der Inschrift zur Seite: Oberlin
Schech 1504. Das gut gearbeitete Werk hat sehr viel vom Muth-
willen gelitten. Die Baulast an der Kirche hat der Heilige und
subsidiär die Stadtpflege. Im Jahr 1446 wurde in der Pfarrkirche
zu Neuffen ein Amt und Messe dem Fronleichnam zu Ehren ge-
stiftet und von Graf Ulrich bestätigt. (Sattler Grafen IV., 63.[198]
Beil. Nro. 33.) Im Jahr 1487 stiftete Dorothea Würflin, Bür-
gerin zu Neuffen, eine Caplaneipfründe, deren Besitzer jährlich
15 Predigten halten sollten (Cleß C. 481). Der Begräbnißplatz
ist längst außerhalb der Stadt, links vom Weg nach Linsenhofen.
- An der Kirche stand außer dem Stadtpfarrer, der zugleich De-
kan einer eigenen Diöcese war, ein Diaconus. 1826 aber wurde
die Diöcese mit der von Nürtingen vereinigt und das Diaconat
aufgehoben. Das Stadtpfarreigebäude, der Kirche südlich gegen-
über, hat der Staat zu unterhalten.

  Das Cameralamtsgebäude (früher Amtshaus), an der
Westseite der Stadt war das Schlößchen der Jäger von Gärtringen
(seit 1590), und kam nebst einem hiezugehörigen Freigut später
an die Familie von Schwarz. Im Jahr 1745 verkauften diesen Be-
sitz des verstorbenen Bundespräsidenten und Bürgermeisters zu
Chur, Otto von Schwarz, hinterlassene Erben um 1058 fl. 45 kr.
an die Herrschaft Württemberg.

  Das Rathhaus, ein älteres ganz gewöhnliches Gebäude,
steht an der Hauptstraße.

  Von Schulanstalten bestehen: eine Realschule in einem
besondern Haus; eine Volksschule mit 2 Lehrern und 2 Lehrge-
hülfen, in einem 1834 auf Kosten der Gemeinde mit einem Auf-
wand von 7000 fl. erweiterten und ganz neu eingerichteten schönen
Gebäude; eine Industrieschule (Strickschule) für Mädchen.

  Die geselligen Vergnügungen der Bewohner verschönert ein
Liederkranz.

  Der Jushof ist ein ziemlich arrondirtes Hofgut von circa
100 Morgen in schöner freier Lage am Fuß des Jusiberges, ½ Stunde
westlich von der Stadt, mit einem hübschen Wohnhaus und Wirth-
schaftsgebäude, 1838 hinausgebaut. Dabei besinden sich schöne
Obstanlagen.

  Eine Felshöhle mit Tropfsteinen, das Bauernloch genannt,
in welche man gegen 200 Schritte weit eindringen kann, befindet sich
oberhalb des Bauernlochbaches (s.oben). - Der Heerweg oder das
Hochsträß von Metzingen her (s. oben) zieht eine kleine Viertel-
stunde nördlich an Neuffen vorüber.- Der auf hiesiger Markung
betriebenen Bohrversuche auf Steinkohlen ist oben S. 24 gedacht
worden.

  Ein guter Bergweg führt nach Dettingen und Urach über den
oben genannten Gebirgsast da, wo dieser von einer sanften Ein-
senkung den Namen Sattelbogen trägt. Es breitet sich von
diesem Kamm nach allen Seiten eine herrliche Ansicht aus. In
der Nähe war eine Capelle des heil Theodor, daher die
Kuppe, worauf sie stand, noch jetzt flurbüchlich den Namen St.[199]
Theodorsbuckel führt. Spuren von abgegangenen Höfen und
Wohnstätten trifft man auf der Markung hier und da an.****
Aber der merkwürdigste Ueberrest aus der Vergangenheit sind die
Trümmer der Veste – Hohen-Neuffen.

  * Schon im Jahr 1247 kommen vineae in Nifen vor, welche Heinrich
von Neuffen an Kloster Söflingen vergabt. Dasselbe Kloster erhielt im Jahr
1278 von Berthold von Neuffen allhier eine Kelter.

  ** In Neuffen und Linsenhofen wurden nach öffentlichen Blättern 1847
36,000 Maas Kirschengeist gewonnen.

  *** Vergl. hiezu und über den im Jahr 1540 u. ff. darüber entstande-
nen Streit: Geschlechtsbeschreibung derer Familien von Schilling. S. 69.
Von einem Schilling trägt noch jetzt eine Stelle auf dem Gebirkskamm
des Sattelbogens den Namen „beim Schillings-Kreuz.“

  **** So lag z.B. oberhalb der Stadt ein Hof Winden (verg. Urkunde
Graf Ludwigs von Württemberg v. 1434), welchen die Stadt von Würt-
temberg zu Lehen trug.