Ortsbeschreibung von Oberboihingen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 204 bis 209
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22. Ober-Boihingen

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde II. Cl., mit dem Hof Tachen-
hausen (auf eigener Markung) 1235 Einwohner (darunter 1 katho-
lischer Filialist von Unter-Boihingen), 1 Stunde nordöstlich von
Nürtingen am rechten Neckarufer und an der Straße von Nürtin-
gen nach Plochingen. Die Markung von Ober-Boihingen, deren
Wiesen im Neckarthal, die Aecker auf den Höhen rechts von dem-
selben liegen, hat einen zum Theil leichten und warmen, zum
Theil aber auch kalten und nassen, doch im Ganzen fruchtbaren
und meistens tiefgründigen Boden, ertragreiche Fruchtfelder und
sehr ergiebigen Wieswachs. Die Güterpreise, welche früher bei
dem sehr herabgekommenen Zustande der Gemeinde merklich nie-
driger als in den Nachbarorten standen, haben sich mit jenem und
seit der Ablösung drückender Grundlasten gegen den Staat be-
trächtlich gehoben. Die Obstzucht ist bedeutend und seit etwa 20
Jahren sehr in Aufnahme, der Weinbau dagegen ganz unterge-
ordnet und wenig einträglich, der Holzmangel empfindlich. Die
Rindviehzucht ist auch hier in fortschreitender Verbesserung be-
griffen und die Schafhaltung nicht unerheblich.

  Die Einwohner sind arbeitsam und häuslich, aber zum größten
Theil nur mittelmäßig begütert, mache wirklich in bedrängten
Umständen. Die Gewerbetreibenden unter ihnen sind meistens
Weber und Maurer, letztere auswärts Arbeit suchend. Schild-
wirthschaften bestehen 3. Mühlwerk ist keines vorhanden, unge-
achtet die Gemeinde vor mehreren Jahren mit einem Opfer von
6000 fl. und nach einem kostspieligen Proceß von dem Mühlbann,
der sie an Unter-Ensingen knüpfte, sich befreit hat. Uebrigens hat
die Gemeinde einigen Güterbesitz, namentlich Baum-Allmanden;
ein Stück Weideland von 60 Morgen ist vor einigen Jahren in
Bürgertheile zerschlagen worden; auch wurde in der neueren Zeit
ein Gemeinde-Backhaus errichtet.


  Den Fruchtzehnten bezieht zu einem größern Theil der Ho-
sipital Nürtingen, zu einem kleinern der Staat, den Weinzehnten
letzterer allein. Der kleine Zehnte ist durch Vertrag von 1581 von
dem Hospital der Ortspfarrei überlassen, der Heuzehnte aber ab-
gelöst worden. Das Fischwasser ist Eigenthum eines Unter-Ensin-
ger Privaten.

  Der Ort hat eine ziemlich breite Hauptstraße, welche übrigens
zu niedrig gelegt ist, um gehörig reinlich seyn zu können; die Häuser
sind ziemlich unansehnlich. Die Kirche mit gothischem Chor, die
etwas tief in den Berg hineingebaut ist, wurde ohne Zweifel um[205]
die Zeit der Gründung der Pfarrei (1466) gebaut, da früher auch
Ober-Boihingen ein Filial der großen Mutterparochie Nürtingen
gewesen war. Sie steht am obern Ende des Dorfs. Die Baulast
ruht auf dem Heiligen, der aber unvermögend ist. Die Kirche
umgibt der Begräbnißplatz. In der Mitte des Ortes an der
Straße steht das geräumige Pfarrhaus, das vom Staat unterhalten
wird. Das Rathhaus ist alt, die Schule aber ein schönes, 1842 /43
von der Gemeinde mit einem Aufwand von 8070 fl. neu aufge-
führtes Gebäude. Das Schulpersonal besteht aus einem Lehrer,
einem Unterlehrer und einem Lehrgehülfen.

  Die alte Burg Boihingen stand zwischen dem nordwest-
lichen Ende des Dorfs und dem Neckar; die Stelle ist jetzt mit
einem Bauernhaus überbaut; Wall und Graben, der aus dem
vorbeifließenden Thalbach gefüllt werden konnte, sind noch sichtbar.
Innerhalb des Grabens ist der Burghof noch zehntfrei. Die zu
demselben gehörig gewesenen Güter sind unter Viele vertheilt und
die Gülten abgelöst.

  Eine Capelle des h. Blasius stand vermuthlich ¼ Stunde
südlich vom Ort auf dem „Bläsles Rain.“

  Auf der Höhe zwischen dem Thal- und Mark-Bach ist ein Erd-
fall, die Höllengrube, zu bemerken von cirka 100' Umfang und
15' Tiefe, in welchem das Regen- und Schnee-Wasser von den um-
liegenden Höhen versinkt.

  (Ober-oder Unter-) Boihingen erscheint als Buggingen um
1100 und 1130 im Hirschauer Schenkungsbuch (S. 39. 57. 62. ed.
Stuttg.); als Wohlthäter dieses Klosters, welches in Boihingen
selbst Güter erhielt (ib. S. 57), werden daselbst genannt Eber-
hardus de Buggingen, Erckinbertus de Bugingen, Bertholdus
de Bugingen. Berthold von Neuffen verkaufte mit seinen Be-
sitzungen in Nürtingen im Jahr 1284 an Kloster Salmannsweiler
quandam decimam in Bugingen (Orig. im Staatsarchiv). In
einer Urkunde des Eßlinger Spitalarchivs vom 26. April 1363
lautet der Ortsname Buingen.

  Im Jahr 1305 brannte in dieser Gegend die Kriegesflamme,
als König Albrecht den Grafen Eberhard den Erlauchten in sei-
nen Besitzungen feindlich heimsuchte (Uebelen, Eberhard der Erl.
S.44). Vom Sept. 12. und 17. d. J. hat man Urkunden des
Königs, welche derselbe im Lager bei Boihingen ausstellte (in
castris prope Bugingen. Böhmer Reg. imper. S. 242. 243).

  Ober-Boihingen ist mit Nürtingen württembergisch geworden.
Aus dem Kellerei-Lagerbuch von 1526 ist zu erwähnen, daß Würt-
tenberg die Pfarrei zu verleihen hatte, der große Zehnte dem
Stifte Tachenhausen un der kleine Zehnte diesem und der[206]
Ortspfarrei zustand. Hienach standen auf dem Burghof einige
Bauernhäuser und hatte das Kloster Sirnau in Eßlingen an die
Burg Ober-Boihingen jährlich 1 Pfd. Heller zu zinsen. Als Grund-
herrn treffen wir 1350 u.f. die von Tachenhausen. Albrecht von
Tachenhausen verkauft 1364 zwei Höfe zu „Oberbugingen“ an 3
Klosterfrauen zu Kirchheim. Diese und zwei andere Höfe, welche
Burkhardt von Gültlingen und Adelheit von Frauenberg 1403 an
einige Klosterfrauen daselbst verkauften, kamen, nachdem Graf Eber-
hard von Württemberg darauf 1404 verzichtet hatte, an das ge-
dachte Kloster.

  Tachenhausen ist ein, dem Hospital Nürtingen gehöriges
Hofgut, 3/8 Stunden östlich von Ober-Boihingen, wohin es einge-
pfarrt ist, mit eigener geschlossener Markung von 22 Morgen Gär-
ten und Länder, 103 ½ Morgen Aecker, 7 ½ Morgen Wiesen (wei-
tere auf Ober-Boihinger Markung) 18 3/4 Morgen Wald, 63 ½
Morgen Weide, größtentheils steuer- und zehntfrei. (Ein Theil
der dazu gehörigen Waldung liegt auf Lindorfer Markung, OA.
Kirchheim.)

  Das Gut bestand bis auf die neueren Zeiten aus zwei Meier-
höfen. An der Südseite des jetzigen obern Hofs stand auf einer
Anhöhe die jetzt gänzlich verschwundene Stammburg derer von
Tachenhausen. Am Fuß dieser Anhöhe lag der Klosterhof, von
einer Ringmauer umfaßt, in welcher die ebenfalls längst abgetra-
genen Gebäude des ehemaligen Chorherrenstiftes der Him-
melskönigin Jungfrau Maria eingeschlossen waren, das seine
Celebrität einem in der Klosterkirche verwahrten wunderthätigen
Bild der Jungfrau Maria verdankt. Die Schicksale der Burg und
des Stiftes s. hienach.

  Die Gebäude des untern Hofes sind 1829 abgetragen und
1838 auch der letzte Rest des Klosters, die Ueberbleibsel der Um-
fangs-Mauer, entfernt worden. Der kleinere untere Hof ist jetzt
mit dem größeren obern zu Einem Pachtgut vereinigt, das 1836
auf 18 Jahre für jährlich 2000 fl. verliehen ist. Erwähnung ver-
dient, daß die Verwaltung auf die höhere Pachtsumme von 2500 fl.,
die zu erzielen gewesen wäre, in der Absicht verzichtet hat, einen
rationellen Landwirth zu gewinnen, der, indem er das Gut empor-
bringt, durch sein Beispiel auch auf die Umgegend wohlthätig wirkt.
Die Herren von Tachenhausen, welche auf der namengebenden
Burg, welcher sie frühe verlustig gingen, hausten, waren ursprüng-
lich Ministerialen der Herzoge von Teck und kommen später häufig
unter Württemberg in Lehen und anderen Diensten vor. Ihr
Wappen besteht aus einem rothen Schildeshaupt und einem in vier
Reihen von Schwarz und Silber geschachteten Schild. Auf dem[207]
Helm ein Adlersflug, wie der Schild abgetheilt und tingirt (Me-
ding, Nachr. v. ad. Wapp. III., 113). Friderich miles de Tachen-
hausen erscheint in Archival-Urkunden von 1274 Mai 13. und
1275 Nov. 29., Kraft de Dachenhusen 1277 Jan. 26. u.f.,
Albrecht I. 1318 u.f. Albrecht II. hatte 1373 einen Hof in Beil-
stein als Lehen von Württemberg, Albrecht III. im Jahr 1418
Mauren, welches bis zu Anfang des 17ten Jahrhunderts seiner
Familie verblieb, ebendaher. In der Mitte des 15ten Jahrhunderts
that sich Wolf von Tachenhausen, württembergischer Hofmeister
und Hofgerichts- Assessor hervor; er erhielt von Graf Ulrich von
Württemberg 1455 Jan. 29. wegen seiner getreuen Dienste das
Schloß Kaltenthal sammt Zugehör als Mannlehen, welches bis
1550 auf seiner Familie sich vererbte; im Jahr 1478 übergaben
die Grafen von Württemberg ihm, Dietrich von Weiler und
Georg von Velberg das Schloß Ebersberg ob Backnang. Die Söhne
dieses Wolfs hießen Albrecht IV. und Wolf (+1530). Ein spä-
terer Wolf verschrieb sich an Württemberg wegen eines Mordes
1565 Okt. 26 (Reichsständ. Archival-Urkunden I., 253). Noch in der
Mitte des 17ten Jahrhunderts kommt diese Familie in Württem-
berg vor; später ist sie weggezogen und blüht noch jetzt in Han-
nover.

  Die Kirche gehörte zu Nürtingen als Filial.* Es bestand
allda eine Caplanei des Altars der heil. Dreifaltigkeit, welche die
Schwelher gestiftet hatten; 1481 wurde eine besondere Pfarrei
gegründet, der heil. Maria zu Ehren, und gewidemt. In den
Jahren 1478 – 1481 errichtete Graf Eberhard im Bart hier ein
Stift regulirter Chorherren des Augustiner Ordens; im Jahr
1486 vereinigte dieser Graf und Graf Eberhard d. J. das Stift
und Pfründen zu Tachenhausen mit den zwei Stiften zu Urach
und Herrenberg (Günzler, Nürtinger Spital 53); doch behielt
Tachenhausen noch immer seinen Propst; noch im Jahr 1516 kommt
ein solcher vor; aber laut Erlaubniß Papst Leo`s X. von 1516
April 19. wurde durch Herzog Ulrich Tachenhausen als Stift auf-
gelöst und zur Cantorei bei dem Stift Stuttgart verwendet
(Sattler, Herzoge I., 230 u. Beil. Nro. 93). Probst Johannes
Hunger zu Denkendorf wurde von Herzog Ulrich zum Capellmeister
seiner Sängerei bestellt und sein Nachfolger in der Propstei, Mar-
tin Altweg, folgte ihm auch als Capellmeister und schloß mit dem[208]
Herzog die schon von dem frühern Propst entworfene Uebereinkunft
von 1518 Juni 28., wonach das Kloster Denkendorf auf 3 Jahre
die ehemaligen Stiftsgüter von Tachenhausen gegen eine jährliche
Abgabe von 220 fl. an die Stuttgarter Sängercapelle genießen
durfte und bloß einen Caplan in Tachenhausen zu unterhalten
hatte. Nach Vertreibung Herzogs Ulrich entzog die österreichische
Regierung alsbald die Tachenhäuser Gefälle den Sängern Herzogs
Ulrich. Da die dortige reiche Pfründe für einen Günstling der
österreichischen Regierung viel Lockendes hatte, so wurde der
Augsburger Domherr Otto Truchseß zu Waldburg, Sohn des
Truchseßen Wilhelm zu Waldburg, österreichischen Statthalters
in Württemberg, mit der Tachenhauser Pfarrkirche förmlich be-
lehnt. Hierauf traf der Vater des Domherrn im Namen sei-
nes Sohnes im Jahr 1523 eine neue Uebereinkunft mit dem Propst
zu Denkendorf, wonach dieser auf 6 Jahre die Administration und
sämmtliche Nutzungen von Tachenhausen überlassen erhielt, dage-
gen außer der Besorgung der Seelsorge einen jährlichen Abtrag
von 180 fl. (statt der vormals an Ulrichs Sänger zu bezahlenden
220 fl.) zu entrichten hatte. Diesen Zeitpunkt benützten klüglich
die Vorsteher der Stadt Nürtingen; sie gaben dem Truchseßen eine
lebenslängliche Pension von 200 fl., jährlich statt der bisher von
Kloster Denkendorf abgelieferten 180 fl.,vermochten denselben, sich
mit diesem Kloster abzufinden und erhielten somit Tachenhausen,
welches sie dem Hospital einverleibten. Zu dieser Incorporirung
gab Erzherzog Ferdinand in dem Stiftungsbrief des Nürtinger
Spitals von 1526 Mai 22. die Genehmigung unter der Bedin-
gung, daß die Stadt einen Priester nebst einem Helfer bei der
Kirche zu unterhalten habe. Nach mancherlei Schwierigkeiten er-
folgte endlich im Jahr 1528 die bischöfliche Zustimmung. als
Herzog Ulrich im Jahr 1534 in seinem Herzogthum wieder einge-
setzt wurde, gab er dem Nürtinger Magistrat den Befehl, die
bisher an den Truchseßen Otto bezahlten jährlichen 200 fl. nicht
mehr an denselben, sondern zu des Herzogs Händen abzuliefern;
auch mußten die Nürtinger, wenn sie anders die Genehmigung
des Herzogs zu Einverleibung der Tachenhauser Kirche erlangen
wollten, im Jahr 1536 unter andern Zugeständnissen einige land-
garbenpflichtige Höfe zu Ohmden und die Waldungen von Tachen-
hausen an die Herrschaft abtreten. Trotz der hiedurch und früher
schon eingetretenen Verminderung des Kircheneinkommens wurde
dieses doch bei dieser Gelegenheit noch zu 500 Pfd. Heller berech-
net. Uebrigens wurde zugleich der Gottesdienst an der Kirche für
aufgehoben erklärt (die Einwohner nach Nürtingen, 1587 nach
Ober-Boihingen eingepfarrt), somit dem Hostpital die Unterhaltung[209]
der Geistlichen erspart, jedoch muß die Hospitalpflege noch alljähr-
lich 180 fl. sogenanntes Corpusgeld zur Besoldung der Geistlichen
an das Cameralamt Neuffen bezahlen; die Gebäude, die auf dem
Berge zwischen dem Kloster und dem Hofe stehende Kirche nebst
dem Kloster ließ Herzog Ulrich im Jahr 1538 abbrechen und das
Material zu dem herrschaftlichen Bauwesen in Kirchheim ver-
wenden.

  *Hiehin überließ laut Urk. v. 1402 Mai 16. Ulrich von Sachsen-
heim mehrere Güter und Gefälle in Tenzlingen, Thailfingen, Hammetweil,
Reudern, Unter-Ensingen, Wendingen, Altdorf, Oethlingen, Unter-Boi-
hingen, Frickenhausen und Nürtingen.