Ortsbeschreibung von Unterboihingen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 216 bis 219
[216]

27. Unter-Boihingen,

katholisches Pfarrdorf, Gemeinde III. Cl. mit 515 Einwohnern
(darunter 17 evangelischen Filialisten von Wendlingen, die Bewoh-
ner des Brückenwirthshauses aber von Köngen, OA. Eßlingen),
1 3/8 St. nordnordöstlich von Nürtingen, an der Straße von da
nach Eßlingen und Plochingen, unweit des rechten Neckarufers,
freiherrlich v. Thumb`scher Grundherrschaft (kath. Deca-
nat Stuttgart). - Dieser Ort hat mit seiner Markung unter allen
des Oberamtes die wärmste Lage und die frühesten Ernten. Die
Wiesen liegen im Neckarthal, während die Felder sich die sanften
Höhen hinanziehen, welche zwischen dem Neckar- und Lauter-Thal
sich ausbreiten. Es wechselt sandiger Lehm- und Thon-Boden, in
einzelnen Lagen auch Mergel und mit Kies gemischter Kalkboden.
Im Ganzen sind die Felder fruchtbar und nicht schwer zu bauen.
Man muß den Zustand der hiesigen Landwirthschaft als sehr geho-
ben und fortgeschritten bezeichen, indem das Beispiel der muster-
haften Oekonomie auf den benachbarten Maiereien Tachenhausen,
Bodelshofen, Steinbach und Köngen hier lobenswerthe Einwirkung
findet. Namentlich ist der fleißige Anbau von Futterkräutern und[217]
seit einigen Jahren auch des Repses hervorzuheben. Getreide wird
ziemlich viel auswärts verwerthet, Wiesenfutter aber nicht viel
über den eigenen Bedarf gewonnen. Die Ackerpreise stehen auf
250, 350 bis 500 fl., die Wiesenpreise auf 300, 400 bis 450 fl.
Für Obstzucht zeigt sich ein reger Eifer, indem schon in der Schule
darauf hingewirkt wird, auch neuerlich einige Baumschulen ange-
legt worden sind. Einige hübsche Gärten zeugen übrigens auch
davon, daß der Sinn fürs Nützliche nicht der allein herrschende
ist. - Die Pferdezucht wird von einigen Eigenthümern zwar in
kleinem Umfang, aber mit Sorgfalt betrieben. Die Zucht des
Rindviehs hebt sich sehr durch Verallgemeinerung der Schweizer
Race. Schafe werden nur von dem Bestandschäfer gehalten, wel-
cher der Gemeinde 755 fl. Pacht entrichtet.*

  Bei der zweckmäßigen Benützung der beiden Haupterwerbs-
quellen, des Feldbaus und der Viehzucht, sind die Vermögens-
umstände der Einwohner im Ganzen befriedigend. Man erkennt
den besseren Nahrungsstand auch an dem Aussehen, dem Benehmen
und der gefälligeren Tracht der Leute. Gewerbe, welchen sich die
Aemeren widmen, sind die der Weber und besonders der Maurer
und Zimmerleute, welche im Sommer auswärts Arbeit suchen.
Schildwirthschaften sind 3 vorhanden, darunter das besonders in
frühern Zeiten als Vergnügungsort der Umwohner viel besuchte
sogenannte Köngener Brücken-Wirthshaus; auch findet sich
eine Handlung hier.

  Die Corporation ist in guter ökonomischen Verhältnissen, was
sie zum Theil vortheilhaften Erwerbungen in der neueren Zeit
verdanken. Die wichtigste ist die Acquisition des gesammten Zehnt-
rechtes. Pfarrsatz und Großzehnt nebst Zugehörungen erkaufte von
Volmar von Mannsperg der Eßlinger Hospital; derselbe besaß laut
Notariats- Instrument von 1426 damals die ihm durch Papst
Martin V. unmittelbar vorher incorporirten Pfarreien Hürnholz
(s.unten) und Unter-Boihingen. Von diesem Hospital kamen die
Pfarreien an Konrad Wilhelm, Bischof von Würzburg 1683 bis 1684,
von der Familie der Herrn von Werdnau, dessen Schwester sie an
das Frauenkloster Unterzell bei Würzburg brachte. Von Unterzell
gingen diese Rechte im Jahr 1803 an Bayern über, welches aber 1604 (1804)
die Lehenhöfe ihren Inhabern käuflich überließ und den Pfarrsatz
an Württemberg abtrat. Das Großzehntrecht blieb bayrisch,
wurde aber 1833 von der Gemeinde um 8000 fl. erkauft. Den
kleinen, Heu-, Oehmd-, Obst-und Blut-Zehnten trat die Pfarrei [218]
durch Vertrag vom 23.Nov. 1839 gegen eine jährliche Rente von
400 fl. und 2 Morgen Wiesen an die Gemeinde ab. Auch gibt
nach demselben Vertrag die Gemeinde ein jährliches Geldsurrogat
von 100 fl. für Weinbesoldung an die Pfarrstelle. Die Gemeinde
wird den Fruchtzehnten noch so lange erheben, bis das Ankaufs-
capital getilgt ist, worauf die Güter von aller Zehntabgabe befreit
bleiben. - Die Gemeinde hat einen mit Eichen und Buchen be-
stockten Walddistrikt von 70 Morgen, der freilich bei weitem nicht
hinreicht, vor Holzmangel zu schützen.

  Gegen die Grundherrschaft sind zwar Küchengefälle, Frohnen
und andere Feudallasten abgelöst worden, doch ruhen noch auf 7 Hof-
und 11 Lehen-Gütern die Abgabe der vierten Garbe als Landacht,
und auf einzelnen Häusern unbedeutende Handlöhne und Weglößin.
Das Fischrecht gehört der Gutsherrschaft und ist verpachtet.

  Der Ort zeichnet sich durch Anlage und Bauart eben nicht
besonders aus, hat aber einige hüsche neue Privathäuser. Die
Pfarrkirche zum heiligen Columban ist im Innern hell und
freundlich, der alte Thurm aber minder gefällig. Als Baujahr
des Chors wird 1593 angegeben; er scheint aber älter zu seyn. Die
Baulast ruht auf dem nicht unvermöglichen Kirchenfond. Eine
halbe Viertelstunde östlich vom Dorf am Fuß einer kleinen Anhöhe
liegt der Begräbnißplatz mit einer gothischen, im Jahr 1493 ge-
weihten Capelle. Früher stand an ihrer Stelle die Pfarrkirche
zu U.L.F. im Hürnholz. Die Capelle hat einen Hoch- und
zwei Seiten-Altäre, ein altes auf Holz gemaltes Bild der h. Jung-
frau Maria mit den drei Kronen über dem Seitenaltar rechts,
vier Epitaphien der Schillinge von Canstatt (1553 bis 1610), zwei
der Branz von Brandenstein und eines von Maximilian von
Wernau 1690. Daneben in einem capellenartigen Raum an der
Kirchhofmauer befindet sich ein Oelberg, Christus und drei schla-
fende Jünger, gute Figuren in Holz, vorstellend, renovirt 1814.
Eigenthumsrecht und Baulast der Capelle hat der Kirchenfond.
Das Pfarrhaus, etwas abgelegen aber solid und geschmackvoll,
wurde 1753 auf Kosten des damaligen Patrons und Decimators,
des Klosters Unter-Zell, erbaut. Jetzt ruht in Folge der oben
angegebenen Verhältnisse die Baulast auf der Gemeinde. Das
Rath- und Schul-Haus erbaute dieselbe 1807; an der Schule unter-
richtet ein Lehrer. Auch ist eine Industrieschule vorhanden. Durch
den Ort geht die Straße von Nürtingen nach Eßlingen und Plo-
chingen; die Parallelstraße derselben am linken Neckarufer, sowie
die Straße von Stuttgart und Eßlingen nach Kirchheim berühren
den Ort nicht. Ueber den Neckar führt eine schöne steinerne Brücke
mit vier Bogen, insgemein die Köngener Brücke genannt,[219]
welche im Jahr 1622 etwas unterhalb der alten hölzernen, durch
die Sage von dem Sprung des Herzogs Ulrich berühmt geworde-
nen, erbaut wurde. Am Neckarufer sind im Lauf der letzten Jahre
bedeutende Correktionen vorgenommen worden, wodurch der Strom
um eine Strecke vom Dorf zurückgedrängt und Gelegenheit zu
Weiden-Anpflanzungen, eine wichtige Rücksicht für die holzarme
Gegend, gewonnen worden.

  Eine halbe Viertelstunde südlich von dem Ort wurden vor
9 Jahren Grundmauern von Gebäuden aufgegraben, welche man
damals für die Ueberreste eines Klosters erklärte. Topograph
Paulus aber fand an dieser Stellem „im Steig“ genannt, römische
Ziegel, Bruchstücke römischer Gefä?e, Heizröhren, Estrich etc. S.
oben S 109.

  Unter-Boihingen ist die einzige neu-württembergische Gemeinde
des Oberamts, indem es bis zu Ende des Jahrs 1805 mit dem
Rittergute Hammetweil eine dem Kanton Neckar-Schwarzwald
zugetheilte reichsritterliche Herrschaft bildete, 1806 aber dem Ober-
amt Nürtingen, anfänglich als ein eigenes Patrimonial-Amt, unter-
geben wurde. Die Grundherrschaft ist repäsentirt durch den Fa-
milien- Aeltesten, Freiherrn Alfred v. Thum-Neuburg, Ober-
Lieutenant im Königl. 3ten Reiter-Regiment. Das gutsherrliche
Schloß, Sommeraufenthalt der freiherrl. Familie, in seinen zwei
untern Stockwerken noch von den Wernau aufgeführt, ist ein ein-
faches Gebäude, von schattenreichen Gartenanlagen und einer
Mauer umgeben; es liegt am nordwestl Ende des Dorfes. Das
Schloßgut (Mannslehen) begreist 8 5/8 Morgen Gärten und Länder,
29 2/8 Morgen Aecker, 45 1/8 Morgen Gärten und Länder,
29 2/8 Morgen Aecker, 45 1/8 Morgen Wiesen.

  Im Jahr 1336 am 5 Juni verkauften die Grafen Albrecht,
Hugo und Heinrich von Hohenberg das Dorf Nieder-Boihingen
(wie Unter-Boihingen sonst hieß) nebst Köngen und andern Zu-
gehörungen der Herrschaft Boihingen an Graf Albrecht vonAichel-
berg, dessen Erbtochter im Jahr 1382 Hans Thumb von Neuburg
heirathete und ihm Theile der genannten Herrschaft in die Ehe
brachte (s. OA.-Beschr. Eßlingen 204). Vor dem Jahr 1739 war
Unter-Boihingen indeß bereits württembergisch gewesen, denn in
diesem Jahre, 14. Jan., vertauschte Herzog Karl Friedrich Admi-
nistrator diesen Ort an Wilhelm Ludwig Thumb von Neuburg
gegen die andere Hälfte von Köngen (Sattler Topogr. 506 Schef-
fer 218).**

  * Die Schafweide war gutsherrlich, ist aber durch Kaufvertrag vom
1. Okt. 1833 an die Gemeinde übergegangen.

  ** Mit Gunst und Willen ihres Herrn, des Grafen Rudolph von Ho-
henberg, verkaufen 1328 Heinrich der Boschegreve und Beth die Dürrin,
seine Hausfrau, dem Frauenkloster Kirchheim um 19 ½ Pfd. Heller 2 Pfd.[220]
H. aus ihrem Hof und Hut zu Niederbuigingen, das ihr freies Eigen ist.
Der Hospital Eßlingen kaufte 1363 von Graf Albert von Aichelberg den
Hof, genannt Keimenhof, der zu Niederbuigingen gelegen ist.