Ortsbeschreibung von Wolfschlugen 1848 PDF-Logo

aus der Oberamtsbeschreibung von Nürtingen

Seite 222 bis 226
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29. Wolfschlugen,

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde II. Cl. mit 1318 Einwohnern 1 ½
Stunden nordwestlich von Nürtingen an der Straße nach Stutt-
gart.- Eine auf drei Seiten mit Wald bekränzte Fläche auf der
Höhe der Filder senkt sich von allen Seiten sanft gegen ihren [223]
Mittelpunkt, in welchem das Dorf Wolfschlugen liegt, und nur
auf der Südseite ist das flache Becken für ein Bächlein geöffnet,
das unter dem Namen Bruckenbach oder Föllbach der Aich zufällt.*
Diese Markung, die ebenste in der ganzen Umgegend, ist quellen-
reich, hat einen mehr schweren als leichten Boden mit Lehm und Let-
ten zum Untergrund und ist daher in nassen Jahrgängen im Nachtheil.
Die Luft ist etwas rauher als in den übrigen Filderorten, und nebel-
freier als im Neckarthal. Der Feldertrag steht im Ganzen den
Nachbarorten etwas nach; doch steigert sich dieser Ertrag gegen-
wärtig merklich in Folge der Fortschritte, welche die wohlhaben-
deren unter den Bauern im Anbau des Bodens, namentlich in
besserer Benützung der Düngungsmittel machen. Es wird Dinkel,
Haber und Gerste auch zum auswärtigen Verkauf gewonnen. Ein
Hauptprodukt aber, welches dem Ort seit langer Zeit schon einen
Namen gemacht hat, ist der Flachs, der hier viel und von vor-
züglicher Güte erzeugt wird, und es ist an dem, daß nun auch
die verbesserte Methode der Bereitung hier allgemeineren Eingang
findet, und diesem Produkt erst die Wichtigkeit gibt, welche es
für das Emporkommen der hiesigen Einwohner zu haben geeignet
ist. Oeffentliche Nachrichten sagen hierüber Folgendes: “Es haben
hier mehrere der begütertsten Landwirthe im Verlauf dieses Jah-
res (1844) die verbesserte Art der Flachsbereitung in Anwendung
gebracht und für ihre, durch Zähheit, Farbe und Glanz sich vor-
theilhaft auszeichnenden Erzeugnisse bedeutend höhere Preise in
der Umgegend und in Stuttgart erziehlt; der Gemeinderath Traut-
wein aber hat 44 Pfund ungehechelten Flachs an die mechanische
Spinnerei in Urach zu einem ihn befriedigenden Preise verkauft
und das schriftliche Zeugniß erhalten, daß der Flachs vollkommen
gut geröstet und für den Bedarf der Spinnerei ganz entsprechend
sey. Die genannte Spinnerei hat nach einem an den Ortsvorsteher
gerichteten Schreiben vom 21. Okt. 1844 die von Wolfschlugen er-
haltenen Muster besser bereiteten ungehechelten Flachses als die
ersten bezeichnet, welche von württembergischen Landleuten ihr zu-
kamen und welche auch sämmtlich als brauchbar erkannt wurden.
Nach diesen Ergebnissen ist in Wolfschlugen die Bahn gebrochen,
welcher eine größere Zahl dortiger Flachserzeuger nun zu folgen
entschlossen ist, und im zeitgemäßen Fortschritt wird der Ort seinen
früheren Ruf in Flachserzeugnissen wieder behaupten.“ (Schwäb.
Merkur 1844. Nr. 354.) - Der Ertrag der Wiesen ist gut und[224]
reichlich; sie haben mit den Aeckern die gleichen Preise zu 200. 350
und 500 fl. Die Obstzucht gehört zu den geringsten im Oberamt.
Die Gemeindewaldung (277 ½ Morgen) ist in mittelmäßigem Zu-
stand und deckt das Bedürfniß nicht; übrigens besitzen die Wolf-
schluger auch 80 Morgen Laubwald auf Hardter Markung.

  In früherer Zeit hatte Wolfschlugen auch einen Namen unter
den durch Pferdezucht ausgezeichneten Orten; jeder Bauer hatte
1 bis 2 Zuchtpferde, und in der ganzen Gegend waren die hiesigen
Thiere als gesund und schön beliebt. Dieß hat nun sehr abgenom-
men und ist immer mehr in Abnahme. Dagegen ist die Pferde-
haltung noch immer beträchtlich, und der Pferdehandel (nament-
lich von Arnold und Söhnen) lebhaft und im Zunehmen begriffen.
Von jeher waren die Wolfschluger gute Reiter und der Hahnen-
ritt (s. oben allg. Theil S. 49) bei feierlichen Hochzeiten ist ein
noch immer fortlebender Brauch. Seit einer Reihe von Jahren
ist man gewöhnt, die Namen Pfäfflin, Arnold, Speidel als
die der siegreichen Wettrenner bei dem Canstatter Volksfest wieder-
kehren zu sehen, und diese Erfolge bestimmen fast jeden Pferde-
besitzer, ein junges Thier zum Rennen zu dressiren, für welchen
Zweck die Ebene gegen Köngen als Hippodrom dient, wo man
schon kleine Knaben mit vieler Keckheit die Fohlen tummeln sieht.
(Vgl. Beobachter 1844. Nr. 203.) - Die Rindviehzucht kommt
besonders durch die Einführung guter Zuchtstiere und Kühe aus
der Schweiz immer mehr in Aufnahme; dagegen ist die Schafzucht
unerheblich. Geflügel wird viel gehalten und von den Neuhauser
Händlern aufgekauft.

  Die Bewohner sind kräftige, in ihrem Benehmen mitunter
etwas derbe Menschen, sehr anhänglich an das Alte in Tracht und
Sitte, aber auch, wie man behaupten will, in manchen abergläu-
bischen krassen Vorstellungen mehr als Andere befangen. Wenn es
gleich nicht an bemittelten Bauern fehlt, so können die ökonomi-
schen Umstände der Einwohnerschaft im Ganzen doch kaum mittel-
mäßig genannt werden. Das Grundeigenthum geht in zu kleine
Theile und ein Hauptnahrungszweig, das Spinnen mit dem
Garnhandel und der Weberei ist von seiner Höhe sehr herab-
gekommen. Ehemals gewähte Wolfschlugen, namentlich zur
Winterszeit, das Bild einer einzigen großen Fabrik, indem jeder
Stand, jedes Alter und beide Geschlechter vom frühen Morgen
bis in die späte Nacht mit Spinnen sich beschäftigten. Nach einer
gemeinderäthlichen Schätzung wurden noch ums Jahr 1826 jährlich
über 150,000 Schneller, meistens Flachsgarn gesponnen. Der Ab-
satz der Schneller, gewöhnlich a 6 kr. war leicht und lebhaft und
ging meistens nach Urach, Münsingen, Laichingen und andern[225]
bedeutenden Weberorten auf der Alp. Sehr vieles wurde auch im
Ort selbst verwoben, wie denn noch jetzt manche Haushaltung durch
einen auf dem Lande ungewöhnlichen Luxus in vielem und schönem
Weißzeug sich auszeichnet. Wiederholte Flachs-Mißjahre, das
Sinken des Preises und die überhandnehmende Verbreitung des
Maschinengespinnstes haben diese Industrie sehr herabgedrückt, wie-
wohl es der bedächtigen Hausfrauen aller Orten noch viele gibt,
welche einem sorgfältigen Handgespinnst den Vorzug vor dem
Maschinengarn geben zu sollen glauben. Die Weberei beschäftigt
jetzt nur noch etwa 40 Stühle. Doch zeichnen sich auch jetzt noch
einzelne Weber aus; so Maier, der ein Patent auf ein verbesser-
tes Weberschiff erhalten hat.- Erwähnung verdient, daß hier-
wiewohl früher mehr als jetzt – gute Orgeln gebaut, auch
musikalische Instrumente verfertigt werden. - Schildwirthschaften
bestehen 3.

  Die Gemeinde hat zum Zweck der Armen-Unterstützung als
Antheil an der Hospital-Armenstiftung in Nürtingen ein Capital
von 3500 fl. erhalten. Von der Schafweide erhebt sie nur 100 bis
150 fl. Pachtgeld. Des Waldes ist oben gedacht worden.- Den
Großzehnten bezieht der Staat (für das aufgehobene Diaconat
Löchgau) zu ¼, der Hospital Nürtingen (erkauft von den Herrn
v. Neuhausen 1566) zu ½, die kath. Pfarrei Neuhausen zu ¼;
den kleinen und Heu- Zehnten der Staat (wie vorhin) zu ½, der
Hospital Nürtingen zu ½. Einen Zehtbezug (aus der Nürtinger
Kellerei-Lehenhofsäcker) haben auch einzelne Bürger. Zehntfrei
sind 64 Morgen Wiesen, und kleinzehntfrei ein großer Theil der
Aecker. Die Pfarrei hat zu keiner Zeit irgend einen Zehnten bezogen.

  Der Ort liegt an der Straße nach Stuttgart und gewinnt
auf dieser Seite durch bessere Häuser und zunehmende Reinlichkeit.
Sonst finden sich viele kleine und unansehnliche Wohnungen. Noch
vor wenigen Jahrzehnden sah man hier Strohdächer, die nun alle
verschwunden sind. Die etwas zu kleine Kirche ist alt, hat aber
im Anfang des 17ten Jahrhunderts eine Erneuerung erfahren und
ein gutes Aussehen; die Stiftungspflege trägt die Baulast. In
frühen Zeiten ist der Ort ein Filial von der Pfarrei Neuhausen
gewesen. Der Begräbnißplatz liegt am westlichen Ende des Orts
und ist 1837 bedeutend erweitert worden. Das Pfarrhaus wird
auf Kosten des Staates erhalten, der 1834 eine ansehnliche Ver-
besserung und Erweiterung damit vorgenommen hat. Das Schul-
haus dagegen ist alt und ungeeignet; es unterrichten ein Lehrer
und ein Unterlehrer. Das Rathhaus, ein geräumiges Gebäude,
ist um 1609 erbaut worden. Trinkwasser (aus 1 Rohr-und vielen
Schöpf-Brunnen) ist im Ueberfluß vorhanden und vortrefflich.[226]


  Im Jahr 1365 verkauften Heinrich Züttelmann von Zitzishau-
sen, Kirchherr von Nürtingen, und sein Bruder Konrad Aecker
und Wiesen in Wolfschlugen an die Wittwe eines Eßlinger Bür-
gers (Gabelk.). In den Jahren 1368 und 1398 hatten die Herren
von Oßweil allhier Güter als Lehen von Württemberg. 1446
tauscht Graf Ulrich von Württemberg an die Familie Dürner von
Dürnau einen Hof gegen andere Güter aus (Sattler Topogr. 308).
Auf dem Wege nach katholisch Neuhausen, jedoch auf hiesiger
Markung, befindet sich ein Wiesenplätzchen, ½ Ruthen im Umfang,
welches früher ein Asyl für Verbrecher gewesen seyn soll; es ist
noch mit einer lebendigen Hecke umgeben.

  Wolfschlugen ist mit Nürtingen württembergisch geworden.
Die Pfarrei, welche schon 1526 die Herrschaft zu verleihen hatte,
wurde nach vorangegangener Aufhebung des Filialverbandes mit
Neuhausen, 1437 errichtet. Mit einem Laienzehnten wurde von
der Herrschaft Hohenberg 1363 Ulrich von Grafeneck und 1504 Marr
von Neuhausen belehnt. Benz der Suser von Kirchheim verkauft
1318 der Kirchenpflege zu Aich eine Gülte aus seinem Hof in
Wolueslugen und 1337 erhält das Frauenkloster Kirchheim von
Frau Demuth, Herrn Friedrich Schwelhers Wirthin, ein Gut zu
Wolfeslugen. Herzog Leopold von Oesterreich eignet dem Wernher
von Neidlingen einen Hof. Andere Güter und Rechte bildeten
einen Bestandtheil des Lehens Neuenrieth (s. S. 143).

  Opfenweiler und Waldhausen scheinen die Namen abge-
gangener Orte, nördlich und nordöstlich vom Dorf, zu seyn, wo-
nach sich noch jetzt zwei Zelgen benennen. Eine Burg Wald-
hausen, von welcher aber die Geschichte keine Kunde gibt, stand
im Staatswald Kernenbuckel an der äußersten Ostspitze der Mar-
kung. Man fand vor längerer Zeit hier Mauerstücke, runde
Saulen, bleierne Teuchel, Ziegelsteine etc. In der Nähe liegt das
sogenannte Grafenholz.

  *Die ältere Schreibart („Wolfeslugen“ s. hienach) scheint auf eine
ehemalige Wolfs-Spähe, wozu sich die Mulde, in welcher der Ort liegt,
geeignet haben mochte, hinzudeuten.