Ortsbeschreibung von Schlaitdorf 1867
aus der Oberamtsbeschreibung von Tübingen
Seite 466 bis 4702. Schlaitdorf
[466]Gemeinde III. Klasse mit 747 Einwohnern. Evang. Pfarrei. 4 Stunden nordöstl. von Tübingen gelegen.
Auf der Hochfläche zwischen dem Neckar- und dem Schaichthale liegt in sanfter, gegen
Südwest ziehender Mulde,*) ganz umgeben von einem Wald herrlicher Obstbäume, der große
freundliche Ort, dessen reinliche, oft von Reben umrankten Häuser zu hübschen Gruppen
zerstreut an den gut erhaltenen, gekandelten Straßen liegen. Die kleine Kirche steht
auf einer Erhöhung so ziemlich inmitten des Dorfes und ist gegen Westen und Süden noch
mit der alten starken Mauer umgeben; an die Mauerecke stößt das stattliche Pfarrhaus,
dessen steinerner Unterstock noch dem alten Schlößchen angehört, das hier stand; südlich
davon dehnt sich dann der große, noch ganz ummauerte Pfarrgarten hin, dessen Mauer sich
an den im Westen der Kirche stehenden Thurm anschließt, und außerhalb dieser Mauer
erhielt sich gegen Norden ein tiefer Graben, noch jetzt der Burggraben genannt, der
sich einst rings um Kirche und Schloß zog; im Pfarrgarten findet man noch behauene
Quader und Bauschutt.
Die Kirche, ganz im spätgothischen Stil erbaut, bildet ein Rechteck mit spitzbogigen
oder geradgestürzten Fenstern, die zum Theil noch die alten Maßwerke haben; auf dem
Ostgiebel sitzt ein Steinkreuz. Der Thurm, noch vollständig erhalten und ein schönes
Muster eines schlichten gothischen Dorfkirchenthurms, hat drei von Gurten getrennte [467]
Geschosse und noch das alte Satteldach, dessen Dreiecksgiebel mit steinernen Knospen
bekrönt sind. Das erste Geschoß bildet eine schöne, von einem Rippenkreuzgewölbe
überspannte Vorhalle, die sich mit tiefen Spitzbögen gegen Norden und Süden öffnet,
gegen Westen ist der Bogen vermauert, gegen Osten führt ein sehr schön behandeltes
kraftvolles Spitzbogenportal in die Kirche; die Thüre daran hat noch das alte
Eisenbeschläg. Auf dem noch bemalten Schlußstein des Gewölbes steht das Zeichen des
Baumeisters zwischen l. und b. Das zweite, nur durch Schießscharten erhellte Geschoß
des Thurmes ist ebenfalls gewölbt, hat ein einfaches Kreuzgewölbe und war früher eine
sog. Schatzkammer; der dritte Stock zeigt vier große hübsch gefüllte Spitzbogenfenster.
Das Innere der Kirche hat eine flache Decke, eine schöne neugothische gefaßte Orgel
(1865 erb. v. Goll in Kirchheim) auf der östlichen Empore und eine steinerne achteckige
Kanzel, mit der Jahreszahl 1564. In ein Fenster der südlichen Wand ist ein kleines
rundes Glasgemälde aus dem 16. Jahrhundert, die Himmelskönigin in Strahlen vorstellend,
eingesetzt; an derselben Wand hängt ein altes Krucifix an einem im Rococostil gehaltenen
Kreuzesstamme. Altar und Kanzel haben hübsche neugothische Holzgeländer. Von den zwei
Glocken ist die größere schön verziert und gegossen in Reutlingen von Kurtz 1842, die
andere ist sehr alt, von schöner schlanken Form und hat zur Umschrift die Namen der
4 Evangelisten in lateinischen Majuskeln. An der im Norden und Osten noch einige Fuß
hohen Ringmauer des früheren Kirchhofes ist ein alter merkwürdiger Stein eingemauert,
worauf eine segnende Hand und daneben zwei Sternchen ausgemeißelt sind, - es ist ein
sog. Freistein.
Der jetzige Begräbnißplatz ward vor etwa 100 Jahren südöstlich am Dorf angelegt.
Das schon genannte Pfarrhaus, von dem, wie vom Thurme aus, man eine schöne Aussicht
an die Alb genießt, wurde im Jahre 1837 erneuert; seine Unterhaltung hat der Staat,
die der Kirche die Gemeinde.
Auch das Rathhaus, vor 40 Jahren fast von Grund aus erneuert, ist in gutem Zustande,
ebenso das schöne 1840 erbaute dreistockige Schulhaus, das 2 Lehrzimmer und die Wohnung
des Schulmeisters und des Unterlehrers enthält.
Ein Armenhaus und ein Schafhaus ist vorhanden.
Gutes Trinkwasser liefern 3 laufende, in hölzernen Deucheln hergeleitete Brunnen,
3 Pump- und 1 Ziehbrunnen; Wassermangel tritt, seit in neuerer Zeit 2 Brunnen gegraben
wurden, nur sehr [468]selten mehr ein. Auf der Markung sind wenige gute Brunnquellen, die bei
anhaltender Trockenheit zum Theil versiegen; im Schaichthale befindet sich der sog.
Heilbrunnen, welcher in früherer Zeit als Mineralquelle galt, jetzt aber nicht mehr
beachtet wird; ferner zieht sich zwischen hiesiger und Altenriether Markung ein Rinnsal,
der sog. Höllenbach hin, der bei anhaltendem Regen großen Schaden anrichtet, indem das
herabstürzende Wasser bedeutende Steinmassen mit sich fort reißt und die Wiesen im
Neckarthal damit überschüttet.
Vicinalstraßen führen nach Walddorf, nach Aich und nach Neckarthailfingen.
Die Einwohner, ein gesunder Menschenschlag, sind fleißig, betriebsam und sparsam; ihre
Volkstracht haben sie beinahe ganz abgelegt.
Haupterwerbsquellen sind Feldbau, Viehzucht und Obstzucht, daneben aber werfen die
großen am Nord- und Südabhang der Markung gelegenen Steinbrüche (grobkörniger
Keupersandstein), deren Steine bis nach Köln zum Dombau gehen, einen sehr namhaften
Ertrag ab; auch Mühlsteine werden hier gewonnen und weithin abgesetzt. Die übrigen
Gewerbe dienen nur den örtlichen Bedürfnissen; eine Schildwirthschaft und 3 Kramläden
bestehen.
Die Vermögensverhältnisse der Einwohner gehören zu den mittleren; der begütertste
Bürger besitzt 25- 30, der sog. Mittelmann 10 - 12 Morgen Grundeigenthum; die am
wenigsten bemittelten haben nur etliche kleine Güterstücke. Beständige Gemeindeunterstützung
erhalten gegenwärtig 3, zeitweise 12- 15 Personen.
Die mittelgroße, in der Länge gedehnte Markung bildet einen Flachrücken, der gegen das
Schaichthal steil und hoch, gegen das Höllbachthälchen aber sanft abfällt, während der
Bergrücken selbst eben genannt werden darf; mit Ausnahme des bewaldeten Abhangs gegen
das Schaichthal wird die Markung durchaus für den Feldbau benützt.
Der im allgemeinen fruchtbare Boden besteht meist aus Lehm und eiget sich vorzüglich
für die Obstbaumzucht, die hier sehr ausgedehnt getrieben wird und die schönsten und
kräftigsten Bäume aufzuweisen hat.
Das Klima ist günstig und erlaubt noch das Fortkommen von feineren Kulturgewächsen;
die wegen der hohen Lage meist etwas bewegte Luft ist gesund und frisch. Frühlingsfröste
und kalte Nebel sind selten, ebenso Gewitter und Hagelschlag. Die Gewitter entladen [469]
sich meist über den Schönbuch oder nehmen ihre Richtung gegen die Alb.
Der landwirthschaftliche Betrieb ist im allgemeinen gut und zur Besserung des Bodens
kommen außer den gewöhnlichen Düngungsmitteln auch Gips, Kompost und Asche vielfach
in Anwendung. Verbesserte Ackergeräthe haben Eingang gefunden. Man baut Dinkel, Haber,
Gerste, viel Futterkräuter, Kartoffeln, Welschkorn, Erbsen, Reps, Flachs und Hanf;
die beiden letzteren kommen auch nach außen zum Verkauf. Von den Getreidefrüchten
werden ziemlich viele auf der Schranne in Reutlingen abgesetzt. Der Ertrag der Felder
ist im Verhältniß der Fruchtbarkeit des Bodens etwas geringer als in der Umgegend,
weil die Aecker beinahe alle mit den üppigsten Obstbäumen besetzt sind.
Der ziemlich ausgedehnte Wiesenbau liefert ein mittelmäßiges Futter.
Der früher stärker betriebene Weinbau ist beinahe ganz abgegangen; nach dem Landbuch
von 1623 hatte der Ort eine Kelter.
Von großer Bedeutung ist die Obstzucht, die sich mit den meisten Kernobst- und
Steinobstsoten beschäftigt und in günstigen Jahren einen Verkauf von 30-40.000
Simri zuläßt.
Die Gemeinde ist im Besitz von 700 Morgen Waldungen (meist Laubhölzer), unter denen
150 ½ Morgen begriffen sind, welche der Ort im Anfang der zwanziger Jahre für eine
Schönbuchsgerechtigkeit erhielt. Der jährliche Ertrag beträgt 197 Klafter und 4-5000
St. Wellen; hievon erhält jeder Bürger ½ Klafter und 25 St. Wellen. Ein Theil der
Holzerzeugnisses wird verkauft, was der Gemeindekasse eine Rente von 1000- 1200 fl
sichert.
Die Brach- und Stoppelweide wird mit 200 St. Bastardschafen befahren, wofür ein
fremder Schäfer 280 fl. Pachtgeld entrichtet; die Pferchnutzung trägt der
Gemeindekasse jährlich 400 fl. ein.
Allmanden sind den Bürgern gegen einen unbedeutenden Allmandzins (im Ganzen 40 fl.)
zur Benützung überlassen.
Sowohl die Zucht als auch die Haltung der Pferde ist ganz unbedeutend und die
Rindviehzucht im Verhältniß zu anderen Orten nicht ausgedehnt. Man hält verschiedene
Racen, die durch 2 Farren nachgezüchtet werden. Uebrigens ist der Handel mit Rindvieh,
der von mehreren Viehhändlern getrieben wird, von Belang.
Was die Schweinezucht betrifft, so werden beinahe alle Ferkel (halbenglische) im Ort
selbst gezogen und theilweise auch nach außen verkauft; gemästete Schweine kommen
ziemlich viele zum Verkauf.[470]
Die Geflügelzucht wird in geringer Ausdehnung meist zum Verkauf getrieben und die
Bienenzucht ist ganz unbedeutend.
Stiftungen zu wohlthätigen Zwecken sind 1500 fl. vorhanden.
Eine von Böblingen durch den Schönbuch herkommende Römerstraße führt unter dem Namen
„Hochsträß“ einige 100 Schritte nördlich am Ort vorüber. An ihr steht östlich vom
Ort der sog. Leuenbühl, ein künstlich aufgeworfener, 18'(Fuß) hoher Hügel, von dem man
eine ausgebreitete Aussicht genießt und den wir ohne Bedenken für einen römischen
Wachhügel erklären dürfen.
Im Walde Haierlanden wurde ein Topf voll römischer Münzen gefunden.
Von hiesigen Ortsadeligen, ohne Zweifel gräflich tübingischen Vasallen, kommen vor:
Alberich im Jahr 1088 (Sleithdorf. Wirt. Urk.-Buch 2,394) und um 1090 derselbe mit
seinem Bruder Wernher (Sleittorf. Ortlieb bei Perz Script.10,76). Anselm von
„Slaidorf“ ist 1268 Zeuge der Edlen Berchtold und Albert von Neuffen. Derselbe
überließ am 21.April 1291 den Fronhof und das Patronat der Kirche in Walddorf dem
heil. Grabkloster zu Denkendorf, wozu Graf Eberhard von Tübingen, der Scherer,
als Oberlehensherr seine Bestätigung ertheilte (Schmid Pfalzgr. Urk. 71). Später
kam Sch. an die Dürner von Dürnau und Georg Dürner von Dürnau trug es den 8. Feb.
1436 Württemberg zu Lehen auf. Am 15. Juli 1452 verkaufte er Gerechtsame,
Gewaltsame und Güter allhier an Württemberg und den 20. Dec. 1462 trat er derselben
Herrschaft für den Steinbachshof und Zehnten in Kleinheppach und 400 Pf. auch vollens
den Rest seiner hiesigen Güter und Rechte ab. Noch 1473 ertauschte Württemberg
Steuern von dem Grafen Jost Niclaus von Zollern. Die Oberherrlichkeit war wohl
schon 1342, mit Tübingen an Württemberg gekommen.
Außer dem Kloster Denkendorf, welches noch im Jahr 1385 Zehnten von Berthold
Kayb erwarb, war auch das Kloster Hirschau allhier begütert.
Ein Filial der hiesigen Kirche ist Altenrieth (OA Nürtingen), früher war es auch
Häßlach zu 1/3. Sch. selbst wurde erst 1466 Pfarrort, damals von Neckarthailfingen
abgetrennt.
Am 14. Nov. 1533 verkaufte Alexander Spät, genannt Mager, das von ihm ererbte
Patronatrecht an die Pfarrei, und die Kaplaneipfründe zu Sch. an den Herzog
Christoph zu Württemberg.
* „Sleit“ habe wahrscheinlich die Bedeutung Bergabhang, sagt Förstemann. Altdeutsches Namenbuch 2, 1275.